Folge 22: Naturwissenschaft kontra religiöses Weltbild
Frauenburg · Das ganze Mittelalter hindurch hatten die Menschen des Abendlandes geglaubt, sie und ihre Erde stünden als Krone der Schöpfung im Zentrum der Welt. Dann entdeckte Kopernikus: Stimmt nicht, dort steht die Sonne.
Wenn religiöse Dogmen und Erkenntnisse der Naturwissenschaft nicht mehr zueinander passen, entsteht ein Problem, das sich in früherer Zeit nur auf zweierlei Art lösen ließ. Entweder die Macht der Religion verwirft, verdrängt beziehungsweise unterdrückt die wissenschaftlichen Fakten. Oder die Fakten führen zu einer Veränderung des religiösen Selbstverständnisses und Weltbildes. Vor diesem Konflikt stand das christliche Abendland vom 14. bis ins 19. Jahrhundert mehrfach, eigentlich fortwährend. Die Verfolgung von Denkern wie Giordano Bruno oder Galileo Galilei durch die katholische Inquisition wegen Ketzerei sei als Beispiel dafür angeführt, welch scharfe Form der Konflikt immer wieder annahm.
Kulturgeschichte der Menschheit
Stark vereinfacht, ging es etwa bei dem für Galilei lebensgefährlichen Streit mit der Kirche um die Frage: Steht die Erde still und unverrückbar im Mittelpunkt des Universums und drehen sich die Gestirne um sie; oder ist die Sonne das fixe Zentrum, um das die Erde als nur ein x-beliebiger unter vielen Himmelskörpern kreist?
Krone der Schöpfung:
Scheinbar handelte es sich also nur um eine Meinungsverschiedenheit über die Anordnung der Planeten und Gestirne am Firmament. Tatsächlich aber wurde aus damaliger theologischer Sicht die göttliche Weltordnung und damit zugleich die herausgehobene Stellung des Menschen als Krone der Schöpfung infrage gestellt. Der Philosoph Bruno landete anno 1600 auf dem Scheiterhaufen und der Mathematiker Galilei musste gut 30 Jahre später seinen "Fehlern abschwören", wurde mit Publikations- und Lehrverbot sowie Hausarrest belegt.
Bruno und vor allem Galilei bauten auf Erkenntnisse auf, die bereits rund ein Jahrhundert zuvor Nikolaus Kopernikus (1473 - 1543) gewonnen hatte. Der aus Thorn (heute Torun in Polen) stammende Arzt, Beamte, Wirtschaftstheoretiker und Astronom war in eine etwas günstigere, man könnte sagen - liberalere Phase - hineingeboren worden als seine beiden späteren Kollegen.
Renaissance:
Ein neues, neugieriges, entdeckungsfreudiges, wagemutiges, erfindungsreiches und für geistige Auseinandersetzung aufgeschlossenes Zeitalter war angebrochen, dem sich selbst Teile des katholischen Klerus nicht entziehen konnten. Man wird die Epoche später "Renaissance" nennen, wegen ihrer aufgeschlossenen "Wiederentdeckung" der im Mittelalter vergessenen Errungenschaften antiker Hochkulturen in Kunst, Philosophie und Wissenschaft.
Jedenfalls konnte Kopernikus ohne direkte Gefahr für Leib und Leben sein "heliozentrisches Weltbild" entwickeln: Die Sonne steht im Mittelpunkt der Welt; die Erde und die anderen Planeten umkreisen sie; die Erde dreht sich zugleich um sich selbst - wodurch der irrige Eindruck hervorgerufen wird, die Gestirne würden die feststehende Erde umkreisen.
Biblische Weltordnung:
Aus den Erkenntnissen des Kopernikus\' war zu folgern, dass das "geozentrische Weltbild" des Claudius Ptolemäus falsch ist. Auf dessen Modell hatten bis dahin 1400 Jahre lang die Menschen im Allgemeinen und die christliche Kirche im Besonderen gebaut. Bei dem etwa von 100 bis 160 nach Christus lebenden Universalgelehrten Ptolemäus kreisten alle Himmelskörper noch um die fest im Zentrum stehende Erde. Sein Modell passte prima zur optischen Wahrnehmung, die man als Erdbewohner beim Blick in den Himmel hat. Und es widersprach in keiner Weise dem damaligen Verständnis von der biblischen Weltordnung. Diese so vertraute, leicht verständliche, dem Augenschein und der religiösen Dogmatik entsprechende Struktur hob Kopernikus nun aus den Angeln.
Wild kreiselnde Kugel:
Plötzlich fanden sich die Menschen mit ihrer Erde aus dem Zentrum des bekannten Universums an dessen Rand gedrängt, zudem vom festen Untergrund auf eine wild kreiselnde Kugel versetzt. Obendrein konfrontierte Kopernikus seine Zeitgenossen mit dem Umstand, dass viele natürlichen Dinge in Wahrheit womöglich nicht so sind, wie sie aussehen. Das alles war ein gewaltiger Einschnitt für das menschliche Weltbild, ein Paradigmenwechsel des Denkens. Der wurde später mit dem Begriff "kopernikanische Wende" belegt. Seit Immanuel Kant (1724 - 1804) wird der Begriff im übertragenen Sinne auf vielen Gebieten verwendet, um Situationen zu benennen, in denen bis dahin angenommene Voraussetzungen durch neue Erkenntnisse ihre Gültigkeit verlieren.
Ordnung des Weltraums:
Was brachte Kopernikus dazu, das althergebrachte Modell des Ptolemäus grundlegend in Frage zu stellen? Zumal er alles andere war als ein antichristlicher Revolutionär. Nichts lag ihm ferner als eine Abkehr vom christlichen Menschenbild. Und auch sein Bild von der Ordnung des Weltraums war noch beeinflusst von zwei damals traditionellen Formidealen: der Vorstellung des Aristoteles vom Kreis als vollkommenes Harmoniegebilde und dem christlichen Verständnis von der ästhetischen Schönheit in der Schöpfung Gottes.
Vielleicht kam er deshalb von der Idee nicht weg, die Planeten zögen regelmäßige Kreisbahnen um die Sonne. Eine Vorstellung, die sich für sein heliozentrisches Modell als ziemliches Problem erwies. Denn viele astronomische Phänomene ließen sich auf der Basis planetarer Kreisbahnen nicht erklären oder berechnen. Von diesem Manko befreite erst Johannes Kepler (1571 - 1630) das heliozentrische Weltbild, indem er die Planetenbahnen nicht als Kreise, sondern als Elipsen beschrieb.
Bessere Kalender:
Kopernikus jedenfalls war anfangs wohl vor allem darauf aus, bessere Daten für die Kalender zu bekommen. Weil auf dem ptolemäischen Modell basierend, waren die Kalender ungenau und mussten ständig nachgebessert werden. Also ging er mit den damals sehr einfachen Instrumenten der Himmelsbeobachtung daran, den Lauf der Gestirne neu und genauer zu vermessen. Dabei stieß er auf einen Umstand, der schon bei einigen Gelehrten der Antike bekannt war: Die Bewegungen der Himmelskörper lassen sich besser berechnen, wenn man die Sonne als Zentrum annimmt.
Sonne im Mittelpunkt:
Der Forscher tat nun einen für die Wissenschaftsgeschichte denkwürdigen Schritt: Er ließ das landläufige und religiöse Dogma über die Ordnung der Welt einfach mal beiseite und formulierte eine Leitfrage für seine weitere Arbeit. Die lautete: Was, wenn man die Sonne in den Mittelpunkt der Welt stellte? Auf dieser Grundlage gemachte Beobachtungen und Berechnungen führten zum Weltmodell des Kopernikus\'.
Spott der Fachkollegen:
Ihm war es allerdings nicht vergönnt, den letztgültigen, wissenschaftlich wasserdichten Beweis dafür selbst zu erbringen. Viele Fragen blieben offen, viele Aussagen Hypothesen. Dies mag einer der Gründe gewesen sein, warum er den Spott der damaligen Fachkollegen mehr fürchtete als die Kirche. Weshalb Kopernikus sein Hauptwerk über die kreisförmige Bewegung der Planeten um die Sonne nur wenigen Vertrauten zugänglich machte. Vor der übrigen Welt hielt er es mehr als drei Jahrzehnte bis zur Veröffentlichung kurz vor seinem Tod verborgen.
Anziehung und Trägheit:
Die wissenschaftlichen Beweise für das heliozentrische Weltbild erbrachten Zug um Zug weiterführende Forschungen etwa von Galilei, Kepler und schließlich Isaac Newton (1643 - 1727). Letzterer erkannte, dass die Bewegung der Himmelskörper natürliche Ursachen hat, von der Schwerkraft herrührt, von Anziehung und Trägheit - nicht, wie zuvor geglaubt, von einer direkt wirkenden göttlichen Kraftquelle.
Dennoch war es zuerst Kopernikus, der auf Grundlage wissenschaftlicher Methodik die Tür aufstieß zu einer neuen Wahrnehmung der realen Welt. Und siehe, diese Welt war doch ziemlich anders als bis dahin geglaubt.
In der nächsten Folge: Moderne Naturwissenschaft - Galilei und Newtonweitere Beiträge der Serie auf www.volksfreund.de/geschichte
Extra
Es ist ein Vorurteil des 19. Jahrhunderts, dass das "finstere Mittelalter" von einer Scheibenform der Erde überzeugt gewesen sei. Schon lange vor Kopernikus und den Entdeckungsfahrten seines Zeitgenossen Christoph Kolumbus gingen die meisten Gelehrten - wahrscheinlich im Gegensatz zum Volksglauben - von der Kugelgestalt unseres Planeten aus; beispielsweise Thomas von Aquin. Eine kugelförmige Erde stand schließlich nicht im Widerspruch zum geozentrischen Modell des Ptolemäus. Strittig war indes die Größe des Erdumfangs und die Frage, ob die andere Erdhälfte bewohnbar sei. Luther glaubt's nicht Das heliozentrische Weltbild des Nikolaus Kopernikus war nicht nur in der katholischen Kirche verpönt. Auch Reformator Martin Luther mochte wohl herzlich wenig davon wissen. Er soll zu seinen Studenten über Kopernikus gesagt haben: "Der Narr will mir die ganze Kunst Astronomia umkehren! Aber wie die Heilige Schrift zeigt, hieß Josua die Sonne stillstehen und nicht die Erde!" Er bezog sich auf eine Bibelstelle, wo Gott den Lauf der Sonne ausnahmsweise für einen Tag anhielt. Was nach Luthers Ansicht bedeuten musste, dass sie sich im Normalfall bewegt und eben die Erde stillsteht. Der Text dieser Seite entstand auf Basis eines Vortrages, den Barbara Abigt im Rahmen der Akademie der Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck in der Zeitung haben Andrea Mertes und Andreas Pecht übernommen. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e. V. Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e. V., Telefon: 02661/6702, Info: www.marienberger-akademie.de Die TV-Serie "Kulturgeschichte der Menschheit" ist eine Kooperation der Marienberger Seminare mit mehreren Regionalzeitungen. Sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz. red