Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft sieht bei Behandlung einiger Krebsarten erhebliche Fortschritte

Trier · Dr. Johannes Bruns ist Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft (www.krebsgesellschaft.de) TV-Redakteur Rainer Neubert hat mit dem Chirurgen über das Thema Krebs und die Entwicklungen bei der Erkennung und Behandlung von Tumorerkrankungen gesprochen.

 Dr. Johannes Bruns DKG

Dr. Johannes Bruns DKG

Foto: Robert Boeckmann

Krebs ist eine Volkskrankheit. In jedem Jahr erkranken in Deutschland 500.000 Menschen neu. Dank der Fortschritte in der Medizin sind die Überlebenschancen deutlich gestiegen. Ist Krebs inzwischen heilbar?
Dr. Johannes Bruns: Bei manchen Krebsarten entwickeln wir uns in der Behandlung gut vorwärts, zum Teil richtig gut. Bei anderen treten wir aber noch immer auf der Stelle.

Nennen Sie bitte Beispiele dafür.
Bruns: Das Hodenkarzinom beim jungen Mann ist durch die Platintherapie im Prinzip heilbar. Auch bei Brust- und Darmkrebs hat sich viel getan. Dagegen ist der Bauchspeicheldrüsenkrebs nach wie vor sehr schlecht zu behandeln. Wir haben dafür keine vernünftigen Früherkennungsprogramme. Die Überlebensraten sind richtig schlecht. Es geht um Monate.

Und das, obwohl die Möglichkeiten der Früherkennung sich so rasant verbessert haben?
Bruns: Ja, leider. Aber glücklicherweise werden die diagnostischen Möglichkeiten insgesamt besser. Früher hat man sich ausschließlich die äußere Form der Krebszellen angeschaut. Heute kann man auch den genetischen Code der Zelle untersuchen und erhält wesentlich mehr Information zur Krebsart und dazu, wie gut sie behandelt werden kann. Wir differenzieren immer mehr. Letztlich geht es in der Krebstherapie um die Überlebenschancen, um die Anzahl von Monaten und Jahren, die der Patient durch eine Therapie gewinnt.

Wie hat sich das verändert?
Bruns: Bei einzelnen Krebsarten sprechen wir von mehreren Jahren des Überlebens. Beim Brustkrebs zum Beispiel kann man die Überlebensrate mittlerweile in Jahren rechnen. Auch beim Darmkrebs ist die durchschnittliche Überlebenschance in den letzten zehn Jahren von zwölf auf über 30 Monate gestiegen. Einzelne Patienten überleben vier, fünf oder sechs Jahre. Bei den Blutkrebsen ist eine bestimmte Tumorerkrankung inzwischen durch ein Medikament im Grunde heilbar. Beim Lungenkarzinom und beim schwarzen Hautkrebs eröffnen die neuen Erkenntnisse sehr gute Chancen für ein längeres Überleben. Wir sprechen in den meisten Fällen aber eher von einer Chronifizierung und weniger von einer Heilung. Es geht um mehr Lebenszeit bei gleichzeitiger Lebensqualität.

Das Alter spielt bei Krebserkrankungen eine wichtige Rolle. Welchen Einfluss auf diese Statistiken hat die demografische Entwicklung?
Bruns: Krebs geht auf einen Fehler im genetischen Code einer Zelle zurück, der bei der Zellteilung an die Tochterzelle weitergegeben wird. Je älter eine Zelle wird, desto häufiger hat sie sich geteilt und mehr Fehler häufen sich an. Insofern ist Krebs in der Regel eine Erkrankung des Alters und wird häufig erst relevant ab einem Alter von Mitte 50.

Aber tritt Brustkrebs denn nicht inzwischen bei immer jüngeren Frauen auf?
Bruns: Fünf bis zehn Prozent aller Brust- und Eierstockkrebserkrankungen gehen auf eine vererbte Anlage zurück. Bei diesen Frauen bricht der Krebs im Schnitt in jüngeren Jahren aus. Außerdem haben wir Früherkennungsprogramme, dadurch erkennen wir Krebs auch in frühen Formen. So entsteht möglicherweise der Eindruck, als würde Krebs immer früher auftreten. Dabei diagnostizieren wir ihn nur einfach früher. Beim Darmkrebs weiß man zum Beispiel, dass es teilweise zehn bis 15 Jahre dauert, bis aus einer Krebsvorstufe tatsächlich Krebs entsteht. Deshalb sind diese Untersuchungen auch so wichtig.

Was können Menschen tun, die Angst oder den Verdacht haben, dass sie ein erhöhtes Risiko tragen?
Bruns: Denen kann ich nur sagen: Suchen Sie Menschen auf, die sich damit auskennen. Das muss nicht gleich der Arzt sein, oft ist die Hemmschwelle, eine Beratungsstelle aufzusuchen, geringer. Es gibt überall Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen zum Beispiel der Landeskrebsgesellschaften. Rheinland-Pfalz ist dabei mustergültig. Auch die bundesweit 14 familiären Brustkrebszentren helfen. So etwas sollte es auch für Darmkrebs, Eierstockkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs oder Speiseröhrenkrebs geben.

Sind denn die Gesetzgeber und Krankenkassen dazu bereit, die Versorgung entsprechend zu unterstützen?
Bruns: Unser Gesundheitswesen ist im Wesentlichen strukturell aufgebaut. Es gibt Kliniken mit Fachärzten und Arztpraxen. Der Patient geht in ein Krankenhaus und hofft darauf, dass es dort entsprechende Fachleute gibt. Wir bräuchten für die großen Volkserkrankungen echte Versorgungsprogramme, die die Menschen durch das komplexe System unserer Krankenversorgung lotsen: von der Früherkennung über eine eventuell notwendige Behandlung bis zur Nachsorge.

Aber es gibt doch onkologische Zentren?
Bruns: Die gibt es. Das haben wir als Deutsche Krebsgesellschaft wesentlich mitangestoßen. Gesundheitsversorgung noch mehr am Gesundheitsversorgungsproblem auszurichten, das wäre richtig. Vernetztes Denken ist gerade bei chronischen Erkrankungen sehr wichtig.
Die Onkologie ist in einem innovativen Jahrzehnt. Was für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den 80er Jahren und für Diabetes in den 90er Jahren galt, gilt heute für die Onkologie. Wir sind in der luxuriösen Situation, dass innovative Medikamente unmittelbar zur Verfügung stehen. Da ist Deutschland sogar weltweit vorbildlich.

Werden Krebserkrankungen in 20 oder 30 Jahren heilbar sein?
Bruns: Für Lungenkrebs zum Beispiel gab es vor zehn Jahren Unterarten, mittlerweile sind es mehr als 20. Für einige wird man in Richtung Heilung gehen. Für sie wird sich das Prinzip Hoffnung in Gewissheit verändern. Durch unser Mehr an Wissen können wir vielen Menschen sehr viel gezielter helfen. Gleichzeitig werden wir erkennen, dass wir anderen Kranken belastende Therapien nicht mehr zumuten müssen, weil klar ist, dass sie bei dieser gewissen Krebsart nicht wirken. Meine Vision ist, dass wir dank genetischer Diagnostikverfahren neue Muster erkennen und so ganz neue Zugangswege zur Behandlung eröffnen. Bestimmte Formen von Lungenkrebs, Brust- oder Magenkrebs, die auf die gleichen Fehler in den molekularen Abläufen der Tumorzellen zurückgehen, könnten dann vielleicht mit derselben Therapie behandelt werden.

Natürlich ist es am besten, erst gar nicht an Krebs zu erkranken. Was kann man dafür tun?
Bruns: Eine gesunde Lebensführung ist, so einfach das klingt, das Einzige, was die Medizin den Menschen raten kann. Dazu gehören ausreichend Bewegung und Sport treiben ebenso wie, sich angemessen und vernünftig zu ernähren, nicht zu rauchen, wenig Alkohol zu trinken und den Kontakt zu Asbest zu vermeiden.

Foto: Deutsche Krebsgesellschaft Zur Person:

Dr. Johannes Bruns, 55, ist seit 2006 Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft (www.krebsgesellschaft.de). Der Facharzt für Chirurgie leitete davor sieben Jahre lang die Abteilung für medizinische Grundsatzfragen/Leistungen beim Verband der Angestellten Krankenkasse e.V. (VdAK).

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