Horrorszenario mit Ansage

Paris/Nizza · Schon im Mai hatte der französische Geheimdienstchef vor einem ähnlichen Täterprofil gewarnt und einen Angriff wie am Donnerstag vorhergesagt. Am französischen Nationalfeiertag ist es nun passiert.

Paris/Nizza. Patrick Calvar kannte die Gefahr ganz genau. Der Chef des französischen Inlandsgeheimdienstes DGSI war im Mai von einem Ausschuss der Nationalversammlung zur Terrorbedrohung befragt worden und hatte ein Szenario entworfen, das nun auf erschreckende Weise in Nizza eingetreten ist: Der Angriff auf eine Menschenmenge. Der oberste Agent hatte eine Autobombe befürchtet, doch der Attentäter an der Côte d'Azur fuhr mit einem Lastwagen in die tausenden Zuschauer, die das Feuerwerk zum 14. Juli verfolgten. Auch vor dem Täterprofil hatte Calvar schon im Mai gewarnt: Es handele sich um einen Franzosen tunesischer Herkunft, der in Nizza wohne.
Passt ins Schema


Der 31-Jährige passt in das Schema der Attentäter, die im vergangenen Jahr die Satirezeitung Charlie Hebdo, den Konzertsaal Bataclan und mehrere Kneipen in Paris angegriffen hatten. Sie hatten fast alle nordafrikanische Wurzeln. Die Familie von Abdelhamid Abaaoud, dem mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge des 13. November, war beispielsweise marokkanischer Herkunft. Die Eltern der Brüder Kouachi, die den tödlichen Überfall auf die Satirezeitung Charlie Hebdo verübten, stammten aus Algerien.
Für den Soziologen Gilles Kepel liegt ein Grund für die Radikalisierung der Kinder der Einwanderer in der Kolonialvergangenheit Frankreichs. "Wir tun so, als habe man sich im gegenseitigen Einvernehmen scheiden lassen", kritisierte der Soziologe in einem Radiointerview.
Das Ergebnis dieser nicht aufgearbeiteten Kolonialbeziehung sei Hass auf Frankreich, wie ihn die Familie des Attentäters von Toulouse, Mohammed Merah, gezeigt habe. Doch die Gefahr geht nicht nur von den oft schlecht integrierten Immigranten der zweiten Generation in Frankreich aus, sondern auch von Islamisten in Tunesien, Algerien und Marokko selbst.
Keine Kontrolle möglich


Darauf hatte Geheimdienstchef Calvar ebenfalls hingewiesen: "Wir dürfen nicht mehr im Begriff der Franzosen oder der Menschen denken, die in Frankreich leben", warnte er vor dem Verteidigungsausschuss. Alle Französischsprachigen, die sich radikalisiert hätten, könnten zur Bedrohung werden. "Tausende Tunesier, Tausende Marokkaner und Algerier können auf unser Staatsgebiet gelangen."
Über diese Gruppe habe er keinen Überblick, gestand der DGSI-Chef. Im Fall von Abaaoud, der bei der Erstürmung seines Unterschlupfs am 16. November starb, erhielt der französische Geheimdienst Unterstützung aus Marokko. "Eine unserer Informationen hat zur Wohnung von Abdelhamid Abaaoud geführt", verriet der Chef der marokkanischen Anti-Terror-Polizei, Abdelhak Khiame, im Januar der Zeitung Le Figaro. Er räumte ein, dass rund 1500 seiner Landsleute in Syrien an der Seite der Dschihadisten des Islamischen Staates kämpfen.
Der hatte seine Anhänger zu Angriffen mit allen Mitteln auf die "Ungläubigen" aufgerufen. "Wenn ihr sie nicht in die Luft sprengen oder schießen könnt, dann sorgt dafür, dass ihr allein einem französischen oder amerikanischen Ungläubigen gegenübersteht. Zerschlagt den Schädel mit einem Stein, tötet ihn mit einem Messer, überfahrt ihn mit einem Auto", hatte der Sprecher der Terrorgruppe, Abu Mohammed Al-Adnani, bereits vor zwei Jahren gefordert.
Einen der von ihm heraufbeschworenen Angriffe erlebte Frankreich im Juni, als Larossi Abballa - ebenfalls Sohn marokkanischer Einwanderer - ein Polizistenpaar im Großraum Paris erstach. "Wir sind Scheich Adnani gefolgt", sagte der Täter kurz vor seiner Erschießung durch die Polizei.

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