Ist China schon eine Marktwirtschaft?

Straßburg · In der Stahlbranche geht die Angst um. "Schützt unsere Jobs." "Wehrt Billigimporte aus China ab." Parolen wie diese stehen auf den Schildern, die rund 100 eigens aus dem Saarland angereiste Stahlarbeiter vor dem Europaparlament in Straßburg in die Höhe halten.

Straßburg. Nicht nur im Saarland, wo rund Tausende bei Saarstahl beschäftigt sind, auch in Duisburg sind die Arbeitnehmer in Sorge: Hier schlägt das Herz der europäischen Stahlindustrie, 10 000 Jobs hängen allein in Duisburg am Stahl. Konzerne mit klanghaften Namen wie ThyssenKrupp produzieren an historischer Stätte im Ruhrgebiet das Material, das die Autobauer und andere Schlüsselindustrien abnehmen. Die Branche fühlt sich bedroht von Billigimporten aus Fernost. In China gibt es riesige Stahlüberkapazitäten. Schon bald, so die Sorge der Stahlkocher, könnte China eine Möglichkeit haben, den EU-Markt zu Spottpreisen zu fluten.Peking droht



Hintergrund der Befürchtung ist ein Datum: Am 11. Dezember 2016 - auf den Tag genau 15 Jahre nach Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO - könnte das Land den Status einer Marktwirtschaft bekommen. So argumentiert zumindest die Regierung in Peking und droht andernfalls mit rechtlichen Schritten.
In Europa und in den USA sieht man diesen Automatismus freilich nicht. Brüssel und Washington reklamieren für sich das letzte Wort darüber, ob China schon eine Marktwirtschaft ist oder nicht. Klar ist: Die EU muss sich in den nächsten Wochen positionieren. Wenn sie so weitermacht wie bisher, also China den Status Marktwirtschaft verweigert, ist es juristisch einfacher, die Industrie im EU-Binnenmarkt zu schützen. Wenn China Waren in Europa zu unfairen Kampfkonditionen anbietet, also zu Preisen unterhalb von denen in China, kann die EU wie bisher chinesische Importe mit hohen Strafzöllen belegen. Nicht nur die Stahlindustrie ist von dieser Entscheidung betroffen, auch andere Branchen fürchten Billigimporte. Vor einiger Zeit hatte China die EU mit billigen Solaranlagen überschwemmt, wodurch viele heimische Industriebetriebe in die Knie gingen. Die Schuhindustrie hat ähnliche Erfahrungen gemacht.
Der Hilferuf der Stahlkocher von der Saar wird im Europaparlament sehr wohl gehört. In der Debatte sprechen sich Abgeordnete sämtlicher Fraktionen dafür aus, die Industrie in der EU gegen Billigimporte aus Fernost zu schützen.
Der Handelsexperte der CDU-Abgeordneten im Europaparlament, Daniel Caspary, sagt: "Für uns sind die Jobs wichtig, uns ist die europäische Industrie wichtig, beides wollen wir schützen."
Der italienische Sozialdemokrat Gianni Pitella drückt die Verantwortung der Politik so aus: "Wir dürfen die Industrie nicht töten, das wäre ein historischer Fehler der Politik." Auch der zuständige EU-Kommissar Vytenis Andriukaitis signalisiert Unterstützung: "Die Kommission wird sich für wirksame Schutzvorrichtungen einsetzen."
Und dennoch hakt es: Widerstand kommt aus den Mitgliedsstaaten. Rund ein Dutzend EU-Mitglieder wollen China den Status Marktwirtschaft zubilligen. Sie argumentieren, dass sie nichts von Protektionismus hielten. Die Niederlande, skandinavische Länder und andere blockieren derzeit, dass die EU weiter mit harten Bandagen gegen drohende Billigimporte kämpft. Deutschland ist nicht in diesem Lager. Jetzt machen die EU-Parlamentarier den Mitgliedsländern Druck.
Dabei gerät die eigentliche Frage in den Hintergrund: Wie steht es nun um die Marktreife Chinas? Sämtliche Experten sind sich einig: Das ehemalige sozialistische Land, dessen Wirtschaft über Jahrzehnte von Einheitspartei und Staat gelenkt war, war zumindest 2001 beim Beitritt zur WTO keine Marktwirtschaft. Seitdem habe das Land Fortschritte gemacht. In einigen Bereichen sei der Markt geöffnet worden. Es bleibe aber noch viel zu tun: Der chinesische Staat greife nach wie vor im großen Stil in Schlüsselbranchen der Volkswirtschaft ein. Vor allem in Bereichen, wo chinesische Staatsunternehmen unterwegs seien, könnten sich Investoren aus dem Ausland immer noch nicht engagieren. Der Staat kontrolliere viele Preise. Jüngst griff das Regime aktiv an der Börse in Shanghai ein. Dies zeige, dass in Peking Schritte in Richtung Marktwirtschaft auch wieder rückgängig gemacht werden könnten.Angst vor Handelsschranken


Umstritten ist, wie China reagiert, sollte die EU China den Status Marktwirtschaft verwehren. China könnte klagen. Dies wäre eher zu verschmerzen, als wenn China einen Handelskrieg anzetteln würde. Vor allem die Autobauer und der deutsche Maschinenbau fürchten, dass China Handelsschranken hochzieht. Dies würde die klassischen deutschen Exportprodukte treffen. Deutschland ist mit Abstand Chinas größter europäischer Handelspartner. Und China ist inzwischen Deutschlands drittgrößter Handelspartner weltweit.

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