"Kirche kann von Opfern lernen"

Es waren besondere 90 Minuten: Vor rund 20 Pfarrangehörigen sowie Experten schilderten Betroffene im Pfarrsaal St. Bonifatius in Trier-Kürenz am Samstagabend ihre bitteren Erfahrungen als Missbrauchsopfer. Ein früherer Kaplan soll die ehemaligen Messdiener in den 1960er Jahren missbraucht haben. Der Trierer Themenabend könnte Modellcharakter haben und zur Prävention beitragen.

 Zurück an den Ort des Geschehens: In der katholischen Pfarrkirche St. Bonifatius im Trierer Stadtteil Kürenz sprechen Ex-Messdiener vor Pfarrangehörigen über sexuellen Missbrauch in den 60er Jahren. TV-Foto: Katja Bernardy

Zurück an den Ort des Geschehens: In der katholischen Pfarrkirche St. Bonifatius im Trierer Stadtteil Kürenz sprechen Ex-Messdiener vor Pfarrangehörigen über sexuellen Missbrauch in den 60er Jahren. TV-Foto: Katja Bernardy

Trier. "Von mir ist eine Last gefallen, Schweigemauern sind durchbrochen worden", sagt ein Missbrauchsopfer nach dem eineinhalbstündigen Themenabend im Kürenzer Pfarrhaus. Hans-Georg Radina, Pfarrer in St. Bonifatius, spricht von einem "aufwühlenden Abend, der für alle Seiten ein wichtiger Schritt war".

Gut 40 Jahre nach den sexuellen Übergriffen hatten drei ehemalige Messdiener den Mut gefasst, erstmals vor Pfarrangehörigen über das Geschehene zu sprechen.

Anwesend waren auch eine Rechtsanwältin, eine Psychologin sowie Peter Rütten, ehemaliger Leiter einer Lebensberatungsstelle, der den Abend moderierte. Die Presse hatte keinen Zutritt, hinterher berichteten die Opfer sowie Pfarrer Radina unserer Zeitung von dem "bewegenden, erfolgreichen" Abend.

"Mit Dias von damals, die Orte zeigen wie die Sakristei, Zeltlager, Sport- und Spielaktionen, wo der sexuelle Missbrauch stattfand, habe ich meine Schilderungen untermalt", sagte ein 54-Jähriger. Ein zweiter ehemaliger Messdiener habe geschildert, wie der charismatische Kaplan vergöttert worden sei und alle weggeschaut hätten. Große Betroffenheit löste wohl auch die Schilderung eines weiteren Mittfünfzigers aus, der berichtete, wie er sich in den 60er Jahren seinen Eltern anvertraut und kein Gehör gefunden habe. "Er stellte dar, wie er weiterhin Messdiener sein musste, obwohl er genau wusste, was ihn erwartete", sagte ein Teilnehmer.

Die anwesende Rechtsanwältin habe klargemacht, wie wichtig es sei, ein Gespür für Situationen zu entwickeln, in denen Kinder reden wollten, sowie genau hinzuhören und hinzuschauen. "Das Geschehene hat am Samstagabend ein Gesicht bekommen", sagte Radina. Die geschilderten Erfahrungen der ehemaligen Ministranten will die Gemeinde zur Vorbeugung von sexuellem Missbrauch nutzen. "Kirche kann von den Opfern lernen", betonte der Geistliche.

Die Ex-Ministranten rechnen der Pfarrei hoch an, dass sie "den Themenabend zugelassen habe". Sowohl die Experten als auch die Opfer seien sich einig, dass diese Form des Gesprächs Modellcharakter haben könnte. "Nach dem Dankgebet in der Kirche und einem besinnlichen Lied, das einer von uns auf einer Laute spielte, hatte ich das Gefühl, als würde der Fluch von diesem Ort weichen", sagte ein Opfer später. Ein anderer Ex-Minstrant meinte: "Wenn in Zukunft Erwachsene die Augen aufmachen, dann hat sich dieser Abend gelohnt."

Gegen den heute 76-jährigen Kaplan, der seit den 70er Jahren kein Priester mehr ist, laufen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft noch. Auch in Gerolstein und Bettingen soll er sich an Schutzbefohlenen vergangen haben.

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