Nato ist Kummer mit der Türkei gewohnt

Brüssel · Türkische Bodentruppen haben erstmals eine Offensive im syrischen Bürgerkrieg begonnen und in Nordsyrien die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angegriffen. Die US-Streitkräfte unterstützen die türkische Armeeoffensive mit ihrer Luftwaffe und Militärberatern.

Brüssel. Zwischen die Türkei, die Nato und die USA passt kein Blatt. Diese Botschaft sendet General Mike Scarparotti, Oberbefehlshaber der Nato, wenige Stunden vor der Militär-Operation der türkischen Armee gegen den Islamischen Staat (IS) auf syrischem Gebiet via Twitter. "Die Türkei kann auf die Nato und auf die USA zählen." Und weiter schreibt der ranghöchste US-Soldat in Europa bei seinem Kurzbesuch in Ankara: "Das Bündnis steht Schulter an Schulter mit der Türkei."
Kein Bündnisfall


Es ist nicht das erste Mal, dass die türkische Armee gegen den IS vorgeht, Ankara kann sich dabei aber einer breiten Unterstützung sicher sein. Bei der weltumspannenden Koalition gegen den islamistischen Terror machen etliche Mitglieder der Nato mit. Dennoch hat der Vorstoß mit türkischen Panzern auf syrisches Gebiet nichts mit der Nato zu tun.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schweigt denn auch zu der Operation an der Südgrenze der Verteidigungsallianz. Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Dass das Nato-Land Türkei eine militärische Operation unternimmt, ist zunächst einmal alleinige Sache Ankaras. Es kann nicht davon die Rede sein, dass damit der Bündnisfall eintritt.
Die verbale Unterstützung, die Ankara dabei von vielen Bündnispartnern entgegengebracht wird, spricht freilich Bände. Es zeigt, wie schnell das Bündnis nach dem Putschversuch und den Säuberungswellen wieder zur Tagesordnung übergeht.
Ohnehin ist das Bündnis in Sachen Türkei und Putschen einiges gewöhnt: Seit dem Beitritt der Türkei zur Nato im Jahr 1952 hat das türkische Militär vier Mal gegen die Regierung in Ankara geputscht. Drei Mal haben die Uniformierten die Macht übernommen. Beim letzten Aufstand, Mitte Juli, scheiterte der Versuch bekanntlich. Bei keinem einzigen der erfolgreichen Putsche stand aber jemals die Mitgliedschaft der Türkei im Verteidigungsbündnis zur Diskussion.
Umso mehr bekräftigt Generalsekretär Jens Stoltenberg, dass es auch diesmal keinen Zweifel gibt: "Die Türkei ist ein geschätzter Alliierter. Die Nato-Mitgliedschaft steht nicht infrage." Dies hat er wenige Stunden nach dem gescheiterten Putsch mitgeteilt und Mitte August noch einmal wiederholt.
Allerdings sandte Stoltenberg noch eine zweite Botschaft. Er mahnte die Türkei, die demokratischen Spielregeln einzuhalten. "Die Türkei ist Teil einer Wertegemeinschaft. Es ist entscheidend, dass die Türkei, wie alle Alliierten, den vollen Respekt vor der Demokratie und ihren Institutionen sicherstellt. Den Respekt vor der Verfassung, dem Rechtstaat und den Grundfreiheiten."
Das hört sich gut an, Tatsache ist aber auch, dass die Nato keinerlei Instrumente hat, um ein Mitglied zu disziplinieren, das demokratische Rechte beugt. Bei der EU ist das anders: Sie kann etwa ein Rechtstaatsverfahren einleiten, wie im Fall Polen geschehen.
Was konkret die Säuberungswellen, von denen ja im hohen Maße auch das Militär betroffen ist, für die Struktur und die Funktionsweise der türkischen Armee haben, dazu herrscht in Brüssel Schulterzucken. In Nato-Kreisen wird aber aufmerksam beobachtet, welche Offiziere auf türkischer Seite als Ansprechpartner verschwinden.
Unabhängig davon ist klar, welche große Bedeutung die Türkei für die Nato hat. Ankara steuert zwar nur gut vier Prozent an direkten Beiträgen zum Nato-Haushalt bei. Zum Vergleich: Deutschland trägt 14 Prozent. Die strategische Bedeutung der Türkei für das Bündnis ist aber überragend. Die direkte Nachbarschaft zu Irak und Syrien, den Krisenherden des islamistischen Terrors, macht dies deutlich.Brücke nach Asien


Die Türkei schlägt zudem die Brücke von Europa nach Asien. Am Schwarzen Meer stößt das Land an den Kaukasus und damit eine Einflusszone, die Russland für sich beansprucht.
Die Nato ist in der Türkei hochrangig vertreten: In Izmir befindet sich die Kommandozentrale der Nato-Landstreitkräfte. Außerdem unterstützt die Nato in humanitärer Mission die Betreuung von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen.
Von Incirlik an der Grenze zu Syrien, wo auch Tornados der Bundeswehr und 240 deutsche Soldaten stationiert sind, bekämpft die internationale Allianz den Terror des Islamischen Staats, wobei die Nato an sich hier nicht eingebunden ist.

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