Oben licht, unten dicht und erstaunlich zufrieden

Trier · Die Aussichten für die Alten von morgen sind besser als jemals zuvor. Statistiken zeigen, dass die Lebenserwartung ungebremst steigt, während Menschen länger gesund bleiben. Zudem betont eine Trierer Psychologin, dass Rentner geistig viel fitter sind als früher und trotz manchen Verlusts erstaunlich zufrieden.

Trier. Beim Skifahren hat der 81-Jährige sich den Oberschenkelhals gebrochen. Verwundert schaut er sich in der geriatrischen Reha-Klinik um und sagt: "Hier sind ja nur alte Leute!" Schon oft hat Dr. Stefan Schilling, Oberarzt in St. Irminen, erlebt, dass Patienten sich viel jünger fühlen, als sie sind. Das mag zum einen daran liegen, dass sie das eigene Spiegelbild mit Milde betrachten. Zum anderen auch daran, dass sich das Altern in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Menschen leben nicht nur deutlich länger (siehe Extra). Sie bleiben auch länger fit. Zwar lautet ein Leitspruch der Altersmedizin, "nicht dem Leben mehr Jahre, sondern den Jahren mehr Leben zu geben". Doch scheint längst beides möglich zu sein.
Eine gute Ernährung, hohe Hygienestandards, eine bessere medizinische Versorgung und ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein erlauben es immer mehr Menschen, einigermaßen gesund zu altern. "Der positive Nebeneffekt ist, dass die Neuerkrankungsrate bei Demenz sinkt", sagt Prof. Matthias Maschke, Geriater und Chefarzt im Trierer Brüderkrankenhaus. Wie die Ärzte-Zeitung berichtet, hat sich die Zahl der Neuerkrankungen in den vergangenen 30 Jahren fast halbiert. Der Grund: Die Risikofaktoren Bluthochdruck und Diabetes werden besser in Schach gehalten.Früh der Demenz vorbeugen


Demenz, das Schreckgespenst unter den Alterskrankheiten, wäre also in vielen Fällen vermeidbar oder ließe sich um Jahre hinauszögern. Schilling rät daher auch 25-Jährigen, auf ihren Blutdruck zu achten.
Studien zeigen, dass Gebildete bessere Chancen haben, der Demenz zu entkommen. Dies liegt allerdings nicht nur daran, dass ihr Gehirn besser trainiert ist, sondern vor allem daran, dass sie die Finger eher von Tabak und Alkohol lassen, gesünder essen und sich mehr bewegen.
Das wäre jedem zu empfehlen. Maschke hält für alle, die alt werden wollen, folgende drei Tipps bereit: Sie sollten sich täglich zwischen 20 Minuten und einer Stunde bewegen, mediterrane Kost essen sowie sozial und kulturell aktiv sein - Freunde und Familie treffen, lesen, ins Theater gehen.
Eine Garantie, alt zu werden, ist das allerdings nicht. Haben doch auch die Gene ein Wörtchen mitzureden. Das Rätsel, wie groß ihr Einfluss ist, muss die Forschung noch lüften. "Wahrscheinlich spielen sie eine größere Rolle, als wir heute vermuten", sagt Maschke. Schilling hält es auf jeden Fall für eine gute Voraussetzung, aus einer Familie zu stammen, in der viele Mitglieder sehr alt geworden sind.
Trotz all dieser positiven Entwicklungen sagt der Oberarzt: "Dass man vor dem Altwerden keine Angst mehr haben muss, sehe ich nicht so." Denn irgendwann schlagen die Krankheiten dann doch zu. Irgendwann sei man bei allen Gebrechen froh, "oben licht und unten dicht" zu sein.
Erstaunlicherweise geht es vielen Alten dennoch gut. "Ich habe viele Menschen erlebt, die von außen betrachtet stark eingeschränkt sind und trotzdem Spaß am Leben haben", sagt Schilling.Das Zufriedenheitsparadox


Ein Phänomen, das seine Kollegin, die Psychologin Christina Lukas, als "Zufriedenheitsparadox" bezeichnet. "Es gelingt älteren Menschen erstaunlich gut, mit altersbedingten Verlusten umzugehen", betont Lukas, die für die Vereinigten Hospitien Trier Altenheimbewohner berät. Senioren seien nicht depressiver als Jüngere. Obwohl sie vielleicht nicht mehr gut hören und sehen, Rückenschmerzen haben und ihre Freunde nach und nach sterben.
Das Geheimrezept fürs Glück im Alter? "Wenn Hindernisse auftreten, muss man seine Ziele flexibel anpassen", rät die Psychologin. Sie erinnert sich an eine Bewohnerin, die ihren großen Garten aufgeben musste - einen Garten, der mehr war, als ein Hobby. Ihr ganzer Stolz. Ein Teil von ihr selbst. "Sie hat es geschafft, ihren kleinen Balkon im Wohnheim so schön herzurichten, dass sie damit trotzdem sehr zufrieden war", sagt Lukas. Für jemanden, der nicht mehr joggen kann, könnte wandern eine Alternative sein. Jemand, der Kultur liebt, aber zu schwach ist, um Ausstellungen zu besuchen, findet womöglich im Lesen Trost und Freude. Auch Kontakte mit Menschen, die man wirklich mag, bezeichnet die Psychologin als guten Schutz vor Depressionen.
Sie teilt den Optimismus des Zukunftsforschers Horst Opaschowski (siehe Text unten), wenn es um das dritte Lebensalter zwischen 65 und 85 Jahren geht. Auch, weil die Menschen länger geistig jung bleiben. "Ein 75-Jähriger hat heute die gleiche psychische Leistungsfähigkeit wie ein 65-Jähriger vor 30 Jahren", sagt sie. Dass die Informationsverarbeitung im Alter etwas langsamer wird, könnten viele gut durch Allgemeinbildung und Erfahrung kompensieren. Die Lernfähigkeit sei weiter recht gut. Und das nutzen viele Ältere heute auch - indem sie eine neue Sprache lernen, VHS-Kurse besuchen oder Bildungsreisen buchen.
"Im vierten Lebensalter ab etwa 85 Jahren sieht es allerdings nicht mehr so rosig aus", sagt sie. Denn wer so alt ist, wird nicht selten von mehreren Krankheiten gleichzeitig geplagt, ehe er dann irgendwann stirbt.
"Wir können nicht unendlich lange leben", sagt Schilling. Dennoch steige die Lebenserwartung mit unverminderter Geschwindigkeit. Ein Ende dieses Trends sei dank medizinischer und hygienischer Fortschritte nicht in Sicht. Wer weiß, vielleicht betreut seine Trierer Reha-Klinik in Zukunft 100-Jährige, die sich beim Skifahren ein Bein gebrochen haben.

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