Rückfahrschein in die Türkei - Griechenland schickt ankommende Flüchtlinge wieder zurück

Brüssel · Alle Flüchtlinge, die in Griechenland ankommen, sollen in die Türkei zurück. Noch ist die EU-Hilfe dafür nicht da.

Abschrecken lassen haben sich die Flüchtlinge noch nicht: Auch am Sonntag landeten Augenzeugen zufolge innerhalb einer Stunde allein drei aus der Türkei kommende Boote auf der griechischen Ägäis-Insel Lesbos. Wie mehrere Nachrichtenagenturen übereinstimmend berichteten, war den Migranten das erst am Freitag geschlossene Abkommen der Europäischen Union dabei durchaus bekannt. Es sieht vor, dass die Regierung in Ankara im Gegenzug für diverse politische Zusagen quasi alle Flüchtlinge wieder bei sich aufnimmt, irregulär nach Griechenland kommen. Die Vereinbarung ist bereits an diesem Sonntag in Kraft getreten.

Dass ihre Umsetzung schwierig werden würde, muss den EU-Gipfelteilnehmern klar gewesen sein. Schließlich wurden Griechenland in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2013 "systematische Mängel" im Asylsystem bescheinigt. Genau das soll nun präzise wie ein Schweizer Uhrwerk funktionieren: Alle Neuankömmlinge müssen registriert, zu ihren Asylgründen befragt, eine Entscheidung bekommen, nach einer möglichen Berufung ein Urteil erhalten, teils so lange untergebracht und anschließend an ihren neuen Bestimmungsort gebracht werden - in den allermeisten Fällen die nun als sicheres Drittland geltende Türkei. Das alles zu stemmen, sei nicht "in nur 24 Stunden" zu stemmen, ließ sich Athens Koordinator für Einwanderungspolitik, Giorgos Kyritsis, am Sonntag vernehmen.

Alleine schon gar nicht. 4000 zusätzliche Beamte und Fachleute, davon 2500 aus den anderen EU-Staaten, sowie "riesige operationelle Anstrengungen aller Beteiligten" werden der Brüsseler Kommission zufolge benötigt, um den Gipfelbeschluss in Griechenland umzusetzen. Die Liste der angeforderten Experten ist lang: Für die Asylverfahren veranschlagt die Behörde 200 griechische Fallbearbeiter sowie weitere 400 von den EU-Partnern, dazu noch einmal 400 Dolmetscher. Die Berufungsverfahren sollen in zehn Komitees organisiert werden, für die es 30 griechische und 30 asylerfahrene Richter aus anderen Mitgliedstaaten sowie weitere 30 Übersetzer braucht. Für die Abschiebungen sollen 50 Verwaltungsexperten auf diesem Gebiet sowie 1500 europäische Polizisten nach Griechenland entsandt werden - und für die EU-Grenzagentur Frontex arbeiten.

Am nötigen Material mangelt es nicht weniger. Nun sollen acht Frontex-Schiffe, ausgelegt für 300 bis 400 Personen, Flüchtlinge in die Türkei zurückbringen. 28 Busse sind angefragt, um sie zum Hafen zu bringen - aus den 20.000 Kurzzeitunterkunftplätzen, von denen erst 6000 existieren. Nicht zuletzt fehlen noch 190 Container, in denen die EU-Asylexperten tätig werden.

Am Samstag leitete der neue EU-Koordinator Maarten Verwey eine Konferenz aller Mitgliedstaaten, in deren Verlauf diese konkrete Hilfszusagen machten. Rund ein Viertel des benötigten Materials und Personals wollen Deutschland und Frankreich zur Verfügung stellen. In einem dieser Zeitung vorliegenden Brief an die EU-Kommission kündigten Bundesinnenminister Thomas de Maizière und sein Pariser Amtskollege Bernard Cazeneuve die Entsendung von je 200 Polizisten und 100 Asylfachleuten an - im Falle Deutschlands aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg. Für die Lieferung der benötigten Logistik steht dem Schreiben zufolge das Technische Hilfswerk bereit, sein französisches Pendant wird demzufolge zwischen Dienstag und Donnerstag auf Lesbos aktiv.

Als "vielversprechend" wurde der Beginn der Großoperation am Sonntag in der EU-Kommission bezeichnet. Allerdings war noch am Freitag beim EU-Gipfel der Eindruck erweckt worden, dass die Entsendung hunderter EU-Helfer schon an diesem Wochenende bereits vorab organisiert worden sei - was nun offensichtlich nicht der Fall war. "Dies ist eine komplexe Operation", wurde in der Brüsseler Behörde am Sonntag eingeräumt, "aber die Mitgliedstaaten und die Kommission sind entschlossen, sie in die Tat umzusetzen."

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