"So schnell gerät man unter Verdacht"

Trier · Fehler, Versäumnisse und ein Verstoß gegen das Grundgesetz: Es sind heftige Vorwürfe, die das Bundesverfassungsgericht gegen die Trierer Polizei, die Staatsanwaltschaft und auch gegen die Justiz richtet.

Er hoffe, dass die Polizei künftig kritischer mit anonymen Hinweisen umgehe, sagt Thomas Roggenfelder. Dem Rechtsanwalt aus Trier ist gelungen, was nur wenigen seiner Kollegen gelingt. Er hat ein Urteil vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten, das man durchaus eine Klatsche für Polizei und Staatsanwaltschaft nennen kann.

Die höchsten deutschen Richter werfen den Trierer Ermittlern vor, nicht sorgfältig gearbeitet zu haben. Und damit einen (wenn auch nicht ganz unbescholtenen) Mann zu Unrecht verdächtigt zu haben. Der Fall zeige, so Roggenfelder, wie schnell man ins Visier der Ermittler geraten könne, wenn anonym gemachte Beschuldigungen nicht ausreichend überprüft würden.Mehrere Fehler

Die obersten deutschen Richter werfen den Trierer Ermittlern in dem konkreten Fall gleich mehrere Fehler vor. Konkret geht es um eine im Juli vor zwei Jahren durchgeführte Hausdurchsuchung in Trier. Die Ermittler verschafften sich Zugang zu der Wohnung eines Mannes, der von einem anonymen Anrufer beschuldigt worden war, einen Einbruch im Trierer Stadtteil Heiligkreuz begangen zu haben. Dabei wurde ein Tresor entwendet, in dem sich Schmuck und Bargeld befunden haben. Unsere Zeitung berichtete über den Einbruch aufgrund einer Mitteilung der Trierer Polizei.

Am gleichen Tag meldete sich ein anonymer Anrufer bei der Trierer Kripo, der im Zusammenhang mit dem Einbruch Name und Adresse von Roggenfelders Mandanten genannt hat. Der Mann sei schwer zu verstehen gewesen, habe schnell wieder aufgelegt, und die am Telefon sitzende Kriminaloberkommissarin habe sich lediglich die Vorwahl des Anrufers notieren können, heißt es in dem sechsseitigen Urteil (Aktenzeichen: 2 BvR 247/14).

Die Polizei begründete später, warum sie nicht in der Lage gewesen war, den Anrufer nachzuverfolgen, damit, dass der Telefonapparat, auf dem sich der Unbekannte meldete, nicht in der Lage sei, Telefonnummern zu speichern. Doch offenbar nahmen die Ermittler den Hinweis ernst, weil, so ist laut Gericht in einem Vermerk zu lesen, der von dem Anrufer genannte Mann "in erheblichen Umfang auch im Bereich der Eigentumskriminalität" in Erscheinung getreten sein soll.

Anwalt Roggenfelder bestätigt, dass sein Mandant in der Tat kein unbeschriebenes Blatt ist und der Polizei bekannt gewesen sei. Diese Tatsache reichte der Polizei offenbar aus, um eine Durchsuchung der Wohnung des Mannes bei der Staatsanwaltschaft als Herrin von Ermittlungsverfahren anzuregen. Diese beantragte dann tatsächlich beim Trierer Amtsgericht eine solche Durchsuchung von Wohnung und Fahrzeugen des Verdächtigten. Die Ermittlungsrichterin genehmigte diese.

Weder die zuständige Staatsanwältin noch die Richterin hätten etwas von dem im TV veröffentlichten Fahndungsaufruf gewusst, sagt der Leitende Trierer Oberstaatsanwalt Peter Fritzen. Grund dafür sei das Versäumnis - Fritzen spricht von einem Bearbeitungsfehler - des ermittelnden Polizisten gewesen, diesen zu den Akten zu gegeben, auf deren Grundlage die Durchsuchung beantragt worden sei. Daher hätten sowohl die Staatsanwältin als auch die Richterin angenommen, der Anrufer verfüge über Insiderwissen.

Dass dieser jedoch stattdessen nur das wiedergegeben hat, was in der Zeitung und auf der Online-Seite des Volksfreund gestanden hat, also Wissen, das jeder, den Fahndungsaufruf gelesen hat, haben konnte, und offenbar aus Böswilligkeit den Namen des Trierers genannt hat, war der Staatsanwältin zu diesem Zeitpunkt nicht klar gewesen. Die Verfassungsrichter werfen den Ermittlungsbehörden, damit auch der Staatsanwaltschaft vor, gegen die Pflicht, vollständige Akten zu führen, "schwerwiegend" verstoßen zu haben. Die Staatsanwaltschaft trage "Grundverantwortung für rechtlich einwandfreie Beschaffung der Beweismittel", heißt es in dem Urteil der Karlsruher Richter.Unverletzlichkeit der Wohnung

Daher sei die Durchsuchung "willkürlich" gewesen und habe "erheblich" gegen Artikel 13 des Grundgesetzes ("Die Wohnung ist unverletzlich.") verstoßen. In dem Artikel heißt es ausdrücklich: "Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden."

Laut dem Verfassungsgericht war auch der Hinweis auf "früher begangene Eigentumsdelikte" des Beschuldigten nicht ausreichend für einen "ausreichend starken Tatverdacht" und damit für die Durchsuchung. Aus den Ermittlungsakten sei nicht ersichtlich, ob es sich bei diesen Delikten um Einbrüche gehandelt habe, auch sei keine damit zusammenhängende Vorstrafen des Mannes erwähnt worden.

Doch nicht nur die Trierer Ermittler werden von dem Bundesverfassungsgericht gerügt. Auch das Trierer Landgericht. Das hat nämlich im vergangenen Jahr die Beschwerde des Mannes gegen die Durchsuchung seiner Wohnung abgewiesen mit der Begründung, der anonyme Anrufer habe über Insider-Wissen verfügt, das den Tatverdacht und damit auch die polizeiliche Maßnahme begründe. Auch die Trierer Richter seien in ihrer Entscheidung nicht auf den Fahndungsaufruf eingegangen, obwohl dieser zwischenzeitlich zu den Akten gekommen sei, bemängeln die Verfassungsrichter.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Trierer ist laut Fritzen rund zwei Monate nach der erfolglosen Durchsuchung eingestellt worden. Die Verfassungsrichter hätten zwar entschieden, dass der Mann durch das Land entschädigt werden müsse. Da dieser jedoch nicht nachweisen konnte, dass durch die Durchsuchung ein Schaden verursacht wurde, stehe ihm auch keine Entschädigung zu, so Fritzen.Extra

Das Bundesverfassungsgericht gilt als Hüter der deutschen Verfassung, also des Grundgesetzes. Es hat seinen Sitz in Karlsruhe. Gegründet wurde es 1951. Das Gericht besteht aus zwei sogenannten Senaten mit jeweils acht Richtern, die jeweils zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden. Neben der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen überprüfen die Karlsruher Richter auch, ob von deutschen Gerichten getroffene Entscheidungen mit dem Grundgesetz in Einklang stehen. Kommen die Richter zu dem Ergebnis, dass ein Urteil gegen die Verfassung verstößt, heben sie die Entscheidungen auf und veranlassen die nochmalige Überprüfung durch das Gericht. Jeder, der glaubt, dass er Opfer von Grundrechtsverletzungen ist, kann das Gericht anrufen. Entscheidet das Gericht, dass ein Gesetz verfassungswidrig ist, muss dieses zurückgezogen oder entsprechend nachgebessert werden. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes sind unanfechtbar. red

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