Stochern im Nebel

Brüssel · Das hat es selbst auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise nicht gegeben: 24 Stunden vor dem Treffen der Staats- und Regierungschefs können selbst EU-Diplomaten wenig darüber sagen, wie der Gipfel nach dem Brexit ablaufen soll. Es gibt kein Drehbuch. Zu unübersichtlich ist die Lage, zu wenig vorbereitet ist man in Brüssel auf die Schritte danach. Zu wenig wurde damit gerechnet. Wie sollte man sich auch vorbereiten?

Brüssel. Das Risiko, dass Geheimpläne weitergegeben werden, ist in einer Riesen-Behörde - wie die EU-Kommission mit ihren 33 000 Mitarbeitern sie ist - groß. Daher gilt als einigermaßen plausibel, dass es keinen Plan B gegeben hat. Nur langsam lichtet sich der Nebel, wie es nun weitergehen soll.
Kooperation wird erwartet


Die 27 EU-Botschafter der Mitgliedsländer haben am Sonntagabend telefoniert und erste Wegmarken festgesetzt. Zum einen setzt sich offensichtlich bei den Mitgliedsländern die Erkenntnis durch, dass es sinnlos ist, den Trennungsbrief, den Großbritannien an die EU schreiben muss, unmittelbar einzufordern.
Ein EU-Diplomat sagte: "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es derzeit keine Autorität im Vereinigten Königreich gibt, die in der Lage wäre, den Trennungsprozess auszulösen." Damit wird der Druck auf den scheidenden Premier David Cameron gemindert. Es wird akzeptiert, dass Großbritannien erst wieder eine arbeitsfähige Regierung haben muss, bevor der Brief in Brüssel eintrifft. Unter dem Strich hat sich Angela Merkel also durchgesetzt.
In Brüssel wird nun damit gerechnet, dass die Frage, wann der Brief kommt, wohl beim Abendessen der Staats- und Regierungschefs am ersten Gipfeltag erörtert werden soll. Da soll Cameron zudem einen Bericht zum Referendum und den Folgen vorlegen.
Allerdings ist auch klar, dass man Großbritannien keine Verzögerungstaktik durchgehen lassen will. Das Schreiben müsse "schnell" und "unverzüglich" kommen. Schließlich, so hört man in Brüssel, müsse London an einem ordentlichen Klima bei den Verhandlungen gelegen sein. "Die Erwartung ist, dass die Briten sich kooperativ zeigen und nicht die EU blockieren."
Diplomat zeigt Folterinstrumente


Beim Zeitpunkt will man nicht so streng sein, dafür aber umso mehr in der Sache. Die Chance für die Briten, nun Nachverhandlungen über ihren Status in der EU zu starten, womöglich dabei noch Privilegien herauszuhandeln, das soll es aber nicht geben. Ein EU-Botschafter erläutert, dass man sich peinlich genau an Artikel 50 halten will: "Solange der Brief aus London nicht da ist, darf es keine Verhandlungen zwischen der EU und dem Austrittskandidaten geben."
Selbst informelle Gespräche seien in der Phase vor dem formalen Auslösen der Trennung tabu.
Wenn der Brief dann einmal da ist, beginnen die Gespräche über den Austritt. Sie sind auf 24 Monate angelegt.
Wahrscheinlich, so hört man in Brüssel, sei, dass dabei nur die Art und Weise des Austritts definiert wird. Nicht notwendigerweise geklärt sein müsse nach den 24 Monaten, welche Beziehungen Großbritannien künftig mit der EU hat. Ein EU-Diplomat zeigte aber schon einmal die Folterinstrumente: "Klar ist, dass Großbritannien ein Drittland wird." Ob nach dem Vorbild von Nordkorea, der Türkei oder Norwegen, das sei Verhandlungssache.
Wenn am Mittwoch, dem zweiten Gipfeltag, die Staats- und Regierungschefs wieder zusammenkommen, ist es schon ein Club der 27. David Cameron darf dann nicht mehr teilnehmen. An diesem Tag wollen die Mitgliedstaaten beraten, wie es mit der geschrumpften EU weitergehen soll.
Mit konkreten Beschlüssen, einem Fahrplan gar zu einer weiteren Vertiefung, rechnet indes niemand. Ein EU-Diplomat: "Ich gehe nicht davon aus, dass am Ende ein Dokument vorgelegt wird." Es werde vielmehr eher einen allgemeinen Meinungsaustausch geben. In Brüssel bemühen sich die Diplomaten zugleich, keinen Zweifel an den deutsch-französischen Beziehungen aufkommen zu lassen. "Sie werden in den nächsten zwei Tagen erleben, dass der deutsch-französische Motor funktioniert."

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