Tarifeinheit entzweit Regierungslager

Berlin · Nach monatelangem Tauziehen hat der Bundestag das umstrittene Gesetz zur Tarifeinheit verabschiedet. Selbst im Lager der Regierungsparteien gab es offenen Widerstand. Über die Bestandskraft der Vorlage wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen.

Berlin. In der abschließenden Debatte im Bundestag ging es hitzig zu: Während Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bekräftigte, das Gesetz beschneide weder das Streikrecht noch die im Grundgesetz verbriefte Koalitionsfreiheit, wonach es jedem freisteht, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren, warf die Opposition dem Regierungslager vor, genau das Gegenteil zu praktizieren. Der Linksabgeordnete Klaus Ernst sprach von "Etikettenschwindel" und "Märchenstunde".
Anstatt die Tarifeinheit zu befördern, würden die Gewerkschaften gespalten. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hielt der Arbeitsministerin vor, dass sich die Tarifkonflikte sogar verschärften, weil aufgrund des Gesetzes "jede Gewerkschaft versucht, in jedem Betrieb groß zu werden". Die Pilotenvereinigung Cockpit und der Deutsche Beamtenbund haben bereits Klagen angekündigt, weil sie ihre Rechte beschnitten sehen.Uneinigkeit bei Gewerkschaften


Um die konkreten Formulierungen in der Vorlage war koalitionsintern lange gerungen worden. Ursprünglich sollte der Gesetzentwurf im letzten Juli das Bundeskabinett passieren. Doch offiziell vorgestellt wurde er erst Ende Oktober. Das hat mit der Uneinigkeit im DGB zu tun. Drei der acht großen Teilgewerkschaften, nämlich Verdi, GEW und NGG, lehnen das Gesetz ab, auch weil sie befürchten, in bestimmten Unternehmen selbst nur eine Minderheit zu sein. Hinzu kommen rechtliche Bedenken.
Anfang Mai hatten mehrere Juristen in einer Anhörung im Bundestag das Mehrheitsprinzip als Eingriff in die Koalitionsfreiheit eingestuft, was letztlich das Streikrecht demontiere. Obendrein könnte der Arbeitgeber einen Betrieb so zerschneiden, dass eine ungeliebte Gewerkschaft in der Minderheit bliebe. Allein die Bahn besteht aus rund 300 Einzelbetrieben. Zuvor hatte der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio das Regierungsvorhaben in einem Rechtsgutachten für die Klinikärzte-Gewerkschaft Marburger Bund als verfassungswidrig kritisiert.
Deren Chef, Rudolf Henke, ist CDU-Abgeordneter des Bundestages. Und so verdammte auch er gestern unter Beifall der Opposition das Gesetz. Tarifeinheit sei ein hoher Wert, meinte Henke. Aber sie sei wertlos, wenn sie "erzwungen" werde und "unter Mehrheitsvorbehalt" stehe.
Seinem Aufruf, die Vorlage abzulehnen, folgten 16 Abgeordnete der Unionsfraktion. Von der SPD votierte Kirsten Lühmann (SPD), Vizechefin des Deutschen Beamtenbundes, mit "Nein". Wegen der Mehrheit der Regierungsparteien im Bundestag stand eine Zustimmung aber nie infrage.Extra

Mit der Vorlage soll verhindert werden, dass in ein und derselben Berufsgruppe unterschiedliche Löhne oder Arbeitszeiten gelten. Die Befürworter des Gesetzes erhoffen sich davon mehr gewerkschaftliche Kooperation, die beispielsweise im aktuellen Tarifkonflikt bei der Bahn nicht existiert. Können sich konkurrierende Gewerkschaften nicht auf einen Tarif für dieselbe Arbeitnehmergruppe einigen, dann soll künftig der Tarifvertrag jener Gewerkschaft gelten, die die meisten Mitglieder in einem Betrieb hat. Die Mehrheitsverhältnisse sind aber erst zu klären, wenn die konkurrierenden Tarifverträge vorliegen. Das heißt, ein Richter könnte einen Arbeitskampf wohl auch nicht einfacher verbieten als bisher. Experten rechnen daher auch nicht mit einer Eindämmung von Streiks. vet

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