Terrorismusexperte im Interview mit dem Trierischen Volksfreund: "Eine Bankrotterklärung des IS"

Trier/Bonn · Die Anschläge von Nizza und Würzburg stellen die Terrorismusforscher vor völlig neue Herausforderungen. Experte Andreas Armborst, Leiter des Nationalen Zentrums für Kriminalprävention, spricht mit dem Volksfreund über die schnelle Radikalisierung von Tätern.

Terrorismusexperte im Interview mit dem Trierischen Volksfreund: "Eine Bankrotterklärung des IS"
Foto: SEEH-STERN (g_pol3 )

Trier/Bonn. Unberechenbare Einzeltäter und unglaublich schnelle Radikalisierungsprozesse: Die Terrorattacken von Nizza und Würzburg fördern neue Abgründe des internationalen Terrorismus zutage. Der TV hat mit Andreas Armborst gesprochen, einem der bekanntesten deutschen Experten für Salafismus und Dschihadismus. Das Gespräch mit dem 36-jährigen Wissenschaftler, der seine Karriere an der Uni Trier begann, führte TV-Redakteur Christian Kremer.
Amokläufer oder Terrorist? Wer sind die Täter von Nizza und Würzburg, und was ist der Unterschied aus Sicht des Experten?
Andreas Armborst: In beiden Fällen ist nicht ganz klar, ob es sich um eine terroristische Tat oder eher um einen Amoklauf handelt. Einerseits gibt es so etwas wie ein politisches Motiv, das bringt es in den Bereich Terrorismus. Andererseits legen die Spontaneität und die möglichen psychologischen Hintergründe nahe, dass es sich um eine Amoktat handelt.
Also kann man schon sagen, dass beide Taten diesen Hintergrund gemeinsam haben?
Armborst: Ja - auch weil es in beiden Fällen so unglaublich schnelle Radikalisierungsverläufe gegeben hat.
Wie werden Täter denn radikal? Gibt es so etwas wie spontane Selbstradikalisierung, wie es zeitweise durchs Internet geisterte?
Armborst: Normalerweise nein. Um Leute dazu zu bewegen, dass sie einen terroristischen Anschlag begehen, ist es üblicherweise erforderlich, dass sie über lange Zeit herangeführt werden an die militante Ideologie. Das ist ein langer Weg.
Und in Nizza und Würzburg?
Armborst: In diesen beiden Fällen ist das auf den Kopf gestellt worden - da lief die Radikalisierung im Eilverfahren. Sicherlich stecken da keine richtigen politischen Überzeugungen dahinter.
Sie sprechen von politischen Überzeugungen, hat das aus Ihrer Sicht nichts mit Religion zu tun?
Armborst: Doch schon. Das hat alles einen islamistischen Hintergrund. Somit handelt es sich immer um religiös begründete Gewalt.
Welche Rolle spielen der Islamische Staat oder andere islamistische Organisationen bei der Radikalisierung?
Armborst: Eine sehr große. Sie verbreiten systematisch Nachrichten, die erklären, warum Anschläge legitim sind und einen politischen Nutzen bringen. Ohne IS und Al Quaida und deren Medien könnte es die Radikalisierung in diesem Umfang in den westlichen Ländern nicht geben.
Kennen die Täter auch persönlich andere Mitglieder der Terrororganisationen, oder verläuft der Kontakt nur über das Internet?
Armborst: Es kann sein, dass die Radikalisierung nur über das Internet erfolgt. Das kommt aber eher selten vor. Eigentlich sind direkte soziale Kontakte nötig, um jemanden an die Ideologie einer Gruppe heranzuführen. Die Überzeugung, dass man militant aktiv werden muss, lässt sich nur so vermitteln. Das benötigt charismatische Führer.
Wie glaubwürdig sind die Bekennervideos des IS in den Fällen Nizza und Würzburg?
Armborst: Glaubwürdig sind sie insofern, als IS-nahe Medienorganisationen wie Amaq sie veröffentlicht haben. Das Bekenntnis zu diesen beiden Taten ist aus meiner Sicht eher eine Bankrotterklärung des IS. Insbesondere in Nizza, wo der Täter überhaupt keine religiöse Lebensweise hatte und überhaupt nicht der Klientel des IS entspricht.
Warum bekennt sich der IS trotzdem zu den Taten?
Armborst: Es könnte sein, dass wir gerade einen internen Streit beobachten zwischen den Medienorganisationen und der militärischen Führung des IS. Das hat es vorher schon bei anderen militanten Gruppen im Irak und in Syrien gegeben.
Ist das der Anfang vom Ende des IS aus Ihrer Sicht?
Armborst: Das ist spekulativ, aber es sind Zeichen, die darauf hindeuten. Bedingung ist, dass Amaq sich zu Anschlägen bekannt hat ohne Wissen der militärischen Führung.
Welche Konsequenz hat es für Deutschland, wenn der IS jederzeit überall auf der Welt Einzeltäter auf Selbstmordmissionen schicken kann?
Armborst: Es gibt eine totale Verunsicherung in der Bevölkerung. Das sieht man an den Reaktionen der Medien und an den Diskussionen in den sozialen Netzwerken. Die Frage ist jedoch, wie man darauf reagieren sollte. Da ist ein Stück Gelassenheit gefragt - trotz dieser schrecklichen Taten. Denn die Terroristen wollen ja unüberlegte Reaktionen auf die Anschläge provozieren.
Kann der Staat die Menschen vor solchen "einsamen Wölfen" überhaupt nicht schützen?
Armborst: Nicht 100-prozentig. Perfekten Schutz würde es selbst dann nicht geben, wenn wir alle rechtsstaatlichen Prinzipien auf einmal über Bord werfen und den totalen Überwachungsstaat einführen würden. Das sieht man daran, dass selbst die autoritären Staaten im Nahen Osten es nicht geschafft haben, den Terrorismus zu unterdrücken. Und diese Regime sind mit Folter und Unterdrückung gegen die islamistische Opposition vorgegangen. Trotzdem oder gerade deshalb hat es dort immer wieder terroristische Anschläge gegeben.
Kann man solche Anschläge mit nachrichtendienstlicher Aufklärung verhindern?
Armborst: In diesen Fällen nicht - da hilft weder die flächendeckende noch die gezielte Überwachung. Allenfalls führen Hinweise aus dem persönlichen Umfeld zu den Tätern. Nachrichtendienstliche Aufklärung führt aber in den Netzwerken und in den islamistischen Szenen zu Ermittlungsergebnissen. Dort sind moderne Geheimdienste effektiv.
Wie funktioniert denn überhaupt Terrorprävention? Und sind da Sozialarbeiter und Psychologen an Stelle von Geheimagenten gefragt?
Armborst: Man braucht Sozialarbeiter und Psychologen, aber auch islamische Rechtsgelehrte. Man braucht verschiedene Professionen, weil die Typen der Radikalisierung unterschiedlich sind.
Wer kann denn wann helfen?
Armborst: Es gibt oberflächlich Radikalisierte, die die ideologischen Prinzipien des Islamismus nicht kennen. Das sind vor allem jugendliche Mitläufer. Da kann die klassische Sozialarbeit Alternativen aufweisen. Es gibt aber auch ideologisch gefestigte Islamisten. Die erreicht man mit Sozialarbeit nicht. Da braucht es etablierte islamische Gelehrte. Es ist aber sehr schwer, diese Menschen zu erreichen. cmkExtra

Dr. Andreas Armborst (36) ist seit Januar Leiter des Nationalen Zentrums für Kriminalprävention (NZK). Das NZK ist dem Bundesinnenministerium zugeordnet. Armborst (Foto: privat) hat in Trier Soziologie studiert. Nach seinem Diplom absolvierte er in Hamburg einen Masterstudiengang in Kriminologie, bevor er am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg promovierte. Dschihadismus, Salafismus und islamistische Ideologie sowie Sicherheitsforschung gehören zu seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten. Seine mit der Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft ausgezeichnete Promotion trägt den Titel: "Jihadi Violence. A study of al-Qaeda's media" (dt. Dschihadistische Gewalt. Eine Untersuchung der Medienorganisationen von Al Quaida). Darin wertet er Bekennerschreiben und Videobotschaften dschihadistischer Bewegungen aus. cmk

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