Thalys-Anschlag in Frankreich: Der gute Junge mit der Kalaschnikow

Paris · Drei Tage nach dem Angriff im Thalys wird das Bild des Attentäters klarer. Sein Vater beschreibt ihn als "guten Jungen". Doch die Geheimdienste hatten den Marokkaner seit 2012 im Visier.

Das Foto von Ayoub el-Khazzani ist seit dem Wochenende überall zu sehen: ein bärtiger Mann mit einem weißen muslimischen Gebetskäppchen, der lächelnd in die Kamera schaut. Am Freitagabend gibt der 26-jährige Marokkaner allerdings ein ganz anderes Bild ab. Mit nacktem Oberkörper liegt er gefesselt auf dem Boden des Thalys, am Fenster klebt Blut. Passagiere überwältigten den mit einer Kalaschnikow, einer Pistole und einem Teppichmesser bewaffneten Angreifer, der seither am Sitz des französischen Inlandsgeheimdienstes in Levallois-Perret bei Paris verhört wird. Doch der Attentäter, der in dem Schnellzug von Amsterdam nach Paris zwei Menschen verletzte, leugnet beharrlich jeden Terrorvorwurf.

In einem Park in Brüssel habe er die Waffen in einem Koffer gefunden, sagt El-Khazzani, der als Obdachloser in Brüssel gehaust haben will. Seine Anwältin Sophie David beschreibt ihn als wenig gebildeten, etwas verlorenen jungen Mann, der bis aufs Skelett abgemagert sei. "Er ist erstaunt über die terroristische Absicht, die seiner Tat zugeschrieben wird." Ihr Mandant habe mit seiner Kalaschnikow nur ein paar Passagiere ausrauben wollen, um sich dann mit dem Geld etwas zu essen zu kaufen.

"Er erzählt völligen Unsinn"

"Er erzählt völligen Unsinn", zitiert die Zeitung "Le Monde" Ermittlerkreise. In seiner Art, die Terrorabsicht zu leugnen, erinnere El-Khazzani an Sid Ahmed Ghlam und Yassin Salhi. Ghlam war im April festgenommen worden, weil er Anschläge auf Kirchen im Pariser Vorort Villejuif plante. Salhi hatten im Juni den Kopf seines Arbeitgebers auf den Zaun einer Gasfabrik zusammen mit arabischen Schriftzeichen zur Schau gestellt. Beide waren vom französischen Geheimdienst erfasst und hatten den Sicherheitsvermerk S - wie El-Khazzani auch.

Diesen Vermerk, den in Frankreich mehr als 5000 Verdächtige tragen, bekommen alle, die eine potenzielle Gefahr für die Staatssicherheit sind. Er bedeutet aber keine ständige Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst, der nur 3500 Agenten hat und dazu schon personell nicht in der Lage wäre. "Diese Listen enthalten tausende Namen. Man kann nicht alle überwachen", sagte der belgische Premierminister Charles Michel. "Dass er (El-Khazzani) in mehrere Ländern erfasst wurde zeigt, dass die Zusammenarbeit funktioniert."

Fußball und Angeln als Hobbys

Zuerst wurde der spanische Geheimdienst auf El-Khazzani aufmerksam, der sich 2007 zunächst in Madrid und dann im andalusischen Algeciras niederließ. Sein Vater Mohammed holte ihn zusammen mit seinen vier Geschwistern damals nach Spanien. "Er war ein guter Junge, sehr fleißig", sagt Mohammed el-Khazzani der britischen Zeitung "The Telegraph". Allerdings räumt El-Khazzani ein, seit einem Jahr nicht mehr mit seinem Sohn gesprochen zu haben.

2009 wurde Ayoub zum ersten Mal in Spanien wegen Drogenhandels festgenommen. In Algeciras, wo die Familie in einer Sozialbausiedlung wohnt, besuchte Ayoub später eine der radikalen Moscheen der Stadt. Wegen Kontakten zu Extremisten und dem Bekenntnis zum Dschihad warnte der spanische Geheimdienst die Kollegen in Frankreich. Vor anderthalb Jahren soll El-Khazzani in den Großraum Paris gezogen sein soll, um dort für eine britische Mobilfunk-Firma zu arbeiten. Doch nach einem Monat sei seinem Sohn gekündigt worden, berichtet Mohamed El-Khazzani. Im Polizeigewahrsam gesteht sein Sohn, in den vergangenen sechs Monaten in Frankreich, Belgien, Andorra, Österreich und Deutschland gewesen zu sein. Von Berlin aus soll er am 10. Mai nach Istanbul geflogen sein, um dann möglicherweise weiter nach Syrien zu reisen.

Seine radikale Gesinnung zeigte der 26-Jährige im Januar, als er nach den Anschlägen in Paris die Kolonialvergangenheit Frankreichs geißelte. Frankreich habe eine terroristische Bevölkerung und einen kriminellen Staat, schrieb der Marokkaner damals. Für den Terrorismus seien Juden und Christen verantwortlich. Dass sein Sohn zum Islamisten wurde, überrascht Mohammed El-Khazzani. "Er hat nie über Politik gesprochen", sagt der Vater unter Tränen. "Nur über Fußball und Angeln."

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