Unterwegs ins Übermorgenland

Dubai/Dehli · Von den Scheichs zu den Slums: Ministerpräsident Kurt Beck hat mit einer großen Delegation die Vereinigten Arabischen Emirate und Indien besucht.

In Abu Dhabi bestaunte er eine der weltgrößten Moscheen, in Delhi den morbiden Charme des baufälligen Parlaments. In Dubai sah er den höchsten aller Wolkenkratzer, in der Hauptstadt Indiens die schäbigsten Hütten. In den Emiraten sichtete er protzige Porsche Cayenne, BMW X5 und Audi Q7, in Delhi schrottreife Tuk-Tuks, Tatas und Toyotas.

Die Gesichter Asiens: Kurt Beck hat sich während der einwöchigen Expedition ein Bild von den Extremen des Lebens im Nahen und Mittleren Osten gemacht. Pracht, Prunk und Pomp hier - Armut, Bürokratie und Chaos dort. Glanz und Elend, eng beieinander. Prägende Eindrücke.

Über die Frage, was ihn emotional am tiefsten berührte, denkt der Ministerpräsident nicht eine Sekunde nach: der Besuch im Armenviertel Okhla, einem Slum am Rand des Molochs Delhi - bei Menschen, die fast nichts besitzen, bei Müllsammlern und Tagelöhnern, bei Kindern, die auf dem nackten Boden winziger Bruchbuden hausen, narkotisiert vom Gestank der Abfälle und den Fäkalien der Haustiere. "Das sind Bilder, die ich nie im Leben vergessen werde", sagt Beck. "Noch so viele schöne Wirtschafts-Verträge sind nichts dagegen, gar nichts."

Der Mainzer Regierungs-Chef ist mit seinem Tross - darunter die Parlamentarier Barbara Schleicher-Rothmund (SPD), Maria Kohnle-Gros (CDU) und Günter Eymael (FDP) - unterwegs, um Kontakte zu knüpfen, zu halten, zu vertiefen. Vertrauen aufbauen, Klinken putzen, Türen öffnen - im Osten geht die Sonne auf. Was Wunder, dass die Delegationen aus Deutschland fast im Wochentakt vorbeischauen. Neulich war Christian Wulff da, demnächst kommt Günther Oettinger. Die Scheichs sind reich, die Inder haben Kinder, so lautet, ein wenig flapsig, der Zauberspruch - die Karawane der Investoren zieht weiter gen Osten, der Krise trotzend.

Die Reisenden treffen auf äußerst selbstbewusste Gastgeber. Mit Nachdruck pochen die Emirate auf eine Führungsrolle in der globalen Wirtschaft. Dubai sei "die" Stadt des 21. Jahrhunderts, sagt etwa der Vize-Präsident der Fluggesellschaft Emirates, Keith Longstaff. Für seinen Vorstands-Kollegen Ram Menem ist die Zwei-Millionen-Stadt, vor wenigen Jahrzehnten noch ein verschlafenes Hafennest, nicht mehr und nicht weniger als das Zentrum des Universums. Meint er das ernst? Oder erzählt er ein Märchen aus 1001 Nacht?

Alles dreht sich in Dubai um die Philosophie des grenzenlosen Wachstums: Schneller! Weiter! Höher! Das spektakulärste Haus, der gigantischste Flughafen, der sensationellste Vergnügungspark - zehnmal Las Vegas, mindestens.

Über Probleme sprechen die Scheichs nicht, schon gar nicht über die Finanzkrise. Niemand will bestätigen, dass es einen Bau-Stopp für viele der turmhohen Bau-Projekte gibt. Bis zu 100 seien es, raunen Insider. Dass 100 000 Arbeiter aus Indien und Pakistan über Nacht nach Hause geschickt worden sind. Dass einige Manager Dubai fluchtartig verlassen haben; ihre gemieteten Luxus-Limousinen ließen sie am Flughafen stehen, die Schlüssel steckten noch. Pssst! Tabu!

Wer sich auf dem Weg zur Weltmacht wähnt, will von Sorgen und Nöten nichts wissen. Das gilt auch für Indien, das "Übermorgenland", dessen größtes Kapital die Menschen sind: weit mehr als eine Milliarde, die von einem besseren Leben träumen. So wie der Held des in Mumbay gedrehten Spielfilms "Slumdog Millionaire" (mit acht Oscars ausgezeichnet). Die Wirtschaft wächst, dank stabiler Binnen-Nachfrage, zwischen sechs und neun Prozent. Eine halbe Million Studenten erwirbt Jahr für Jahr ein Hochschul-Diplom. Jeder dritte Informatiker auf der Welt ist ein Inder.

Dass viele Menschen auf dem Subkontinent im traditionellen hinduistischen Kasten-Wesen gefangen sind, dass viele in tiefster Armut vegetieren, dass es ungezählte Analphabeten gibt, dass die Straßen marode sind, dass selbst in der Hauptstadt Delhi oft für Stunden der Strom ausfällt, all das verschweigen die meisten Politiker des Landes lieber - weil es nicht zum Bild des aufstrebenden "global player" passt.

Zwei Systeme, zwei Märkte, die eines verbindet - die Aussicht auf glänzende Geschäfte. Rheinland-Pfalz lebt vom Export, die Quote liegt bei über 50 Prozent. Im vergangenen Jahr schoss das Handelsvolumen allein mit Dubai um 38 Prozent in die Höhe, auf mehr als 400 Millionen Euro. Zwar dürften Wachstumsraten im zweistelligen Bereich im Zeichen der Krise nicht mehr so leicht zu erzielen sein. Dennoch: Im Bau-Sektor, bei Wasser, Energie und Umwelttechnik winken verlockende Aufträge. Zwei Beispiele:

Neues Bauen: Abu Dhabi plant eine "Umwelt-Stadt", ein grünes Vorzeige-Objekt: ökologisches Wohnen und Arbeiten für 90 000 Menschen, keine Autos, Wasser aus einer Entsalzungsanlage, Abfallverwertung. Als Energie-Spender dient die Sonne, nicht mehr das Erdöl. Zu den Solar-Firmen, die von dem Großauftrag profitieren, gehört die Schott AG aus Mainz, führend auf dem Gebiet der Photovoltaik.

Wasser für alle: Indien hat riesige Probleme, seine Bürger mit elementaren Gütern zu versorgen. "Es gibt genug Wasser", sagt ein Offizieller, "aber wir schaffen es nicht, dieses Wasser gerecht zu verteilen." Eine weitere ungelöste Herausforderung: die miserable Abwasser-Entsorgung. Im Gespräch mit Sheila Dikshit, Ministerpräsidentin der Großregion Delhi, bietet Beck rheinland-pfälzische Hilfe an: Technologie-Beratung und Planungs-Kapazitäten, etwa der Hochschule in Kaiserslautern. "Es gibt unendlich viel zu tun", sagt Beck - und zitiert den Wahlspruch des Landes: "Wir machen's einfach."

Lesen Sie in einer der nächsten TV-Ausgaben, wie Unternehmer aus der Region sich in den Emiraten und in Indien behaupten.

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