Viele Baustellen der Energiewende sind noch offen

Berlin · Die Energieexpertin im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, sieht mit der gestern im Kabinett verabschiedeten Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes zentrale Ziele nicht erreicht. Das macht sie im Interview mit dem Volksfreund deutlich.

Berlin. Nach der am Dienstag vom Bundeskabinett abgesegneten Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes wird weder die EEG-Umlage sinken, noch sind andere Baustellen der Energiewende gelöst: Diese Auffassung vertritt Claudia Kemfert, Energieexpertin im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, im Interview mit unserer Zeitung. Mit der 45-Jährigen sprach unser Berliner Korrespondent Werner Kolhoff. Minister Gabriel führt Höchstgrenzen für die Förderung von Wind an Land, Wind auf See und Biomasse ein, wie sie schon für die Solarförderung gelten. So genannte atmende Deckel. Ersticken diese Deckel die erneuerbaren Energien, wie die Branche behauptet, oder sind das Klagen auf hohem Niveau?Claudia Kemfert: Die Energiewende wird ohne Not teilweise verlangsamt und verteuert. Es wird eine Verunsicherung erzeugt, die sich zum Beispiel bei der Finanzierung von Projekten durch Banken auswirken kann. Die Risikoaufschläge können steigen. Die Verunsicherung wird auch zu einem geringeren Ausbau führen. Das erklärte Hauptziel der EEG-Reform ist es, den Anstieg der Ökostromumlage, derzeit 6,24 Cent je Kilowattstunde, zu stoppen. Wird das erreicht?Kemfert: Im Moment treiben zwei Sonderfaktoren die Umlage hoch: Zum einen der niedrige Börsenpreis für Strom, der an dem Überangebot liegt, den vor allem alte ineffiziente Kohlekraftwerke erzeugen, zum anderen die Industrieausnahmen. Wenn man an beiden Ecken nichts macht, wird die Umlage jedenfalls nicht sinken. Deutschland hat sich in Brüssel sehr für die Industrieausnahmen stark gemacht, mit dem Argument, dass die Energiekosten für die Unternehmen nicht aus dem Ruder laufen dürfen. Ist das nicht nachvollziehbar?Kemfert: Nicht wirklich. Faktisch ist der Strom-Börsenpreis so niedrig wie seit zehn Jahren nicht mehr, so niedrig wie in keinem anderen Land in Europa. Davon profitiert auch die Industrie. So lange die Industrieunternehmen weiter in großer Zahl von der Umlage ausgenommen werden, werden nur die Privathaushalte mit ihr belastet. Das ist im Grunde eine Quersubventionierung der normalen Haushalte für große Firmen. Der Zusammenbruch des Emissionshandels führt dazu, dass wieder mehr Kohlestrom erzeugt wird und der CO{-2}-Ausstoß Deutschlands wieder steigt. Was kann man dagegen tun?Kemfert: Der Emissionshandel ist klinisch tot. Er kann nur wieder belebt werden, indem überschüssige Zertifikate auf Dauer aus dem Markt genommen werden, und zwar im Umfang von zwei Milliarden Tonnen Kohlendioxid. Erst dann sähe man höhere Emissionspreise. Die Bundesumweltministerin will kleine Mengen überschüssiger Zertifikate nur temporär entfernen. Selbst wenn man einen solchen Beschluss in Brüssel durchsetzen könnte, wird der CO{-2}--Preis kaum steigen. Deshalb braucht man andere Maßnahmen um den C0{-2}--Ausstoß wieder zu vermindern. Zum Beispiel strengere Grenzwerte für neue Kraftwerke. Ist die Energiewende, zu der ja auch der Atomausstieg gehört, mit der EEG-Reform wieder auf Kurs?Kemfert: Viele Baustellen werden nicht angegangen werden. Der Stromüberschuss, der durch den Betrieb der großen alten Kohlekraftwerke im Westen und Osten Deutschlands entsteht, müsste beseitigt werden, indem man diese Kraftwerke abschaltet. Vor allem die Braunkohle passt nicht in eine nachhaltige Energiewende. Deshalb muss nach dem Atom-ausstieg der Kohleausstieg kommen. Das würde auch den Börsenpreis stabilisieren und die EEG-Umlage wirklich senken. Außerdem muss der Ausbau der Stromnetze und -speicher vorangetrieben werden. wk

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