Vor dem griechischen Referendum werben Jean-Claude Juncker und EU-Spitzenpolitiker für ein Ja zu Reformen – Ein Nein würde als Absage an die Gemeinschaft verstanden

Brüssel · Eindringlich bittet die europäische Führung das griechische Volk, die Spar- und Reformmaßnahmen bei dem geplanten Referendum zu befürworten. Der griechische Premierminister Alexis Tsipras hatte empfohlen, es abzulehnen.

Jean-Claude Juncker hat am Montag einen flammenden Appell in Richtung Athen geschickt. "Das ist der Moment der Wahrheit", sagte der EU-Kommissionschef zu dem geplanten Referendum über die von Griechenland verlangten Spar- und Reformmaßnahmen: "Ich bitte das griechische Volk mit Ja zu stimmen." Der Präsident des Europaparlaments, der SPD-Politiker Martin Schulz, richtete kurz darauf ebenfalls einen "Appell an die Menschen in Griechenland für das letzte Angebot der europäischen Partner zu stimmen."

Formal geht es "nur" um ein zehnseitiges Papier, die das letzten Verhandlungsangebot von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds darstellen, ehe die griechische Seite am vergangenen Freitag einseitig die Gespräche abbrach und Premierminister Alexis Tsipras eine Volksabstimmung über deren Annahme ankündigte. Laut Schulz, der am Montag mit Tsipras telefonierte, will dieser das in der Eurogruppe vom 25. Juni zirkulierte Troika- Dokument zur Abstimmung stellen und nicht jenes, das die EU-Kommission am Sonntagabend veröffentlichte. Die Brüsseler Behörde sagt, dieses enthalte sogar noch weitergehende Zugeständnisse etwa bei der Mehrwertsteuererhebung. "Einige Maßnahmen tun weh, ja", sagte Juncker, ABER es handele sich "nicht um ein dummes Kürzungspaket". Es sollte mehr beim Militär statt im Sozialbereich gespart werden, die Anpassung der Haushaltsziele lindere den Athener Sparbedarf um zwölf Milliarden Euro, hinzu käme ein Wachstumspaket in Höhe von 35 Milliarden Euro - freilich größtenteils bestehend aus ohnehin verfügbaren Strukturfonds.

Die Europapolitiker zieht aber nun in den griechischen Wahlkampf - Schulz erwägt sogar, nach Athen zu reisen -, weil es aus ihrer Sicht bei dem Referendum um viel mehr geht, als um Zustimmung oder Ablehnung bestimmter Steuererhöhungen. "Ein Nein wäre ein Nein zu Europa", sagte Juncker. Der Sozialdemokrat Schulz wiederum stellte noch deutlicher klar, dass es um die Mitgliedschaft in der Währungsunion gehe. Dass die kein Alleingang, sondern die angestimmte Position der übrigen 18 Eurostaaten ist, hatte sich am Vormittag in den Aussagen von Frankreichs Staatschef Francois Hollande angedeutet und wurde am Nachmittag bei einer Pressekonferenz von Kanzlerin Angela Merkel und ihrem SPD-Vize Sigmar Gabriel bestätigt, der sagte: "Es ist im Kern die Frage ‚Ja oder Nein zum Verbleib in der Eurozone'."

Das Kalkül, um ein Schrumpfen der Währungsunion zu verhindern, sieht folgendermaßen aus: Sollten die Griechen entgegen der Empfehlung ihrer Links-Rechts-Regierung für das europäische Papier votieren, könnten auf dieser Basis Verhandlungen über ein drittes Hilfsprogramm oder zumindest eine neue Zwischenfinanzierung beginnen, mit denen Athen am 20. Juli Schulden über 3,5 Milliarden Euro bei der EZB begleichen könnte. In der Brüsseler Behörde wird es - zumindest bei gutem Willen - für möglich gehalten, in nur zwei Wochen eine kleine Kreditlinie des Euro-Rettungsschirms ESM zu organisieren, inklusive zweier Bundestagsbeschlüsse. Ohne Rückzahlung am 20. Juli nämlich ist die Euro-Zentralbank in Frankfurt verpflichtet, die Notkredite für das griechischen Bankensystem ganz zu kappen -es könnte wohl nur mit Drachmen gerettet werden.

"Weiß das griechische Volk all diese Dinge?" fragte Juncker, der Tsipras' Regierung die Fehlinformation seiner Landsleute über den letzten Verhandlungsstand und die Konsequenzen des Referendums vorwarf. Deshalb wolle er, Juncker "sich direkt an das griechische Volk wenden". Der Wahlkampf hat begonnen - auch wenn Kanzlerin Merkel im Gegensatz zu Schulz meint, es sei "nicht sinnvoll nach Griechenland zu reisen", um nicht einen falschen Eindruck zu erwecken: "Keiner will von außen das Abstimmungsverhalten mündiger Bürger und eines stolzen Volkes beeinflussen, "so die Kanzlerin, "aber man muss schon klar sagen, welche Folgen es hat."

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