Vor der Fußball-EM in Frankreich: Die Anschlagsangst kehrt zurück

Paris · Nach dem Absturz einer EgyptAir-Maschine auf dem Weg von Paris nach Kairo schließt die französische Regierung einen Terrorakt nicht aus. Die Ermittlungen konzentrieren sich auf den Pariser Flughafen Charles de Gaulle, wo der Airbus A320 startete.

Noch bevor der Krisenstab im Elysée zusammengekommen war, sprach der frühere Leiter der Flugsicherheitsbehörde laut aus, was jeder dachte: "Es könnte sich um einen Anschlag handeln", sagte Jean-Paul Troadec im Radio. Der Luftfahrtexperte hatte nach dem Verschwinden der Maschine der EgyptAir mit 66 Menschen an Bord auf dem Weg von Paris nach Kairo schnell seine Schlüsse gezogen. Ob er damit richtig liegt, wird die Untersuchung der ersten Flugzeugtrümmer zeigen, die offenbar am Nachmittag entdeckt wurden. Eines ist aber jetzt schon klar: das Unglück zeigt die Verletzlichkeit Frankreichs drei Wochen vor der Fußball-EM.

Wohl auch deshalb gab sich die Regierung in den ersten Stunden extrem zurückhaltend. Von einem Unfall oder einer "anderen Hypothese" sprach Präsident François Hollande, bevor er dann ergänzte: "Einer terroristischen Hypothese". Die machte schnell die Runde, nachdem mehrere Augenzeugen kurz vor dem Absturz in der Nähe der griechischen Insel Karpathos von einem Feuerball am Himmel berichteten. Außerdem setzte der mit 6000 Flugstunden erfahrene Pilot keinen Notruf ab, was Experten zufolge einen technischen Defekt praktisch ausschließt. Flug MS 804 vollzog laut dem griechischen Verteidigungsminister Panos Kammenos zwei brutale Kehrtwenden, bevor er um 7000 Meter absackte und schließlich vom Radar verschwand.

Problem der Radikalisierung an Flughafen Charles de Gaulle

"Die Möglichkeit eines Terroranschlags ist größer als die eines technischen Problems", räumte auch der ägyptische Verkehrsminister Cherif Fathy ein. Erst im Oktober waren beim Anschlag der Terrormiliz Islamischer Staat auf eine russische Chartermaschine auf der Sinai-Halbinsel 224 Menschen ums Leben gekommen. Der Airbus A320 war am Mittwoch in Eritrea und Tunesien gewesen, bevor er über Kairo auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle landete. Dort hielt sich die Maschine eine Stunde lang auf, bevor sie um 23.09 Uhr mit 56 Passagieren, darunter 15 Franzosen, wieder abhob.

Der Flug erfolgte bei guten Wetterbedingungen. In Frankreich konzentrierten sich die Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft aufnahm, nun auf den Flughafen - den zweitgrößten Europas nach London-Heathrow. Dort sollen vor allem Videoaufnahmen ausgewertet und die Leute überprüft werden, die mit dem Flugzeug in Berührung kamen. Roissy-Charles de Gaulle war ebenso wie der zweite Pariser Flughafen Orly vor einigen Monaten in die Schlagzeilen geraten, weil dort Islamisten beschäftigt gewesen sein sollen. 70 der 85.000 Angestellten, die im Sicherheitsbereich arbeiteten, wurde wegen "Radikalisierung" deshalb im Dezember die Zugangsberechtigung entzogen. Bei der Durchsuchung von rund 4000 Schließfächern fand die Polizei Gebetsteppiche und salafistische Schriften.

BKA warnt vor Anschlägen während EM

Seit den Anschlägen im vergangenen Jahr ist klar, dass Frankreich das Ziel Nummer eins der Islamisten ist. Im November hatten mehrere Terrorkommandos insgesamt 130 Menschen bei Anschlägen auf das Stade de France, den Konzertsaal Bataclan und mehrere Kneipen getötet. Hinter den Attentaten stand eine belgisch-französische Terrorzelle des Islamischen Staats. Nach den Anschlägen von Brüssel im März gestand einer der Angreifer laut Medienberichten, dass die Terroristen auch die EM im Visier hatten. Das Bundeskriminalamt warnte laut "Bild"-Zeitung vor Anschlägen während des Turniers. Ziele könnten nicht nur die Spiele, sondern auch Mannschaften wie die deutsche Elf sein. "Ein erfolgreicher Anschlag auf Mannschaften von ‚Kreuzfahrernationen‘, zu denen Deutschland ebenfalls gezählt wird, hätte dabei besondere Symbolwirkung", hießt es in einem BKA-Bericht, aus dem die "Bild" am Donnerstag zitierte.

Für die französischen Behörden enthüllt der BKA nichts Neues. Innenminister Bernard Cazeneuve hatte bereits unumwunden eingeräumt: "Dieses Großereignis bedeutet ein Risiko." Auch deshalb verlängerte die Nationalversammlung am Donnerstag den seit November geltenden Ausnahmezustand zum dritten Mal - diesmal bis Ende Juli. Er erlaubt Hausdurchsuchungen auch in der Nacht und Hausarrest für Verdächtige. Absagen will die Regierung die EM allerdings nicht, wie Regierungschef Manuel Valls am Donnerstag noch einmal versicherte. Er hat dabei die Unterstützung der Bevölkerung: 79 Prozent befürworten laut einer Umfrage im April, dass das Turnier abgehalten wird.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort