Wenn der Chef ein Roboter ist: Zukunftsforscher erklärt im TV-Interview, wie sich der Arbeitsmarkt ändert

Trier · Arbeit sieht schon in wenigen Jahren ganz anders aus, als wir sie heute kennen. Die Aussage wagen Zukunftsforscher wie Michael Carl. Im Interview mit TV-Redakteur Florian Schlecht spricht er darüber, warum Maschinen auch Ärzte ersetzen - und weshalb trotzdem niemand Angst vor dem Job-Verlust haben soll.

In Rheinland-Pfalz schrillen die Alarmglocken. Bis 2035 soll es 330 000 Arbeitskräfte weniger geben als jetzt. Was sagt ein Zukunftsforscher zu den Prognosen?
Michael Carl: Das deckt sich mit unseren Erkenntnissen. Und die gehen sogar noch weiter: Schon im Jahr 2025 werden wir nicht mehr nur von einem Mangel an Fachkräften sprechen, sondern von zu wenigen Arbeitskräften. Die Babyboomer gehen in Rente, die geburtenschwachen Jahrgänge rücken nach. Gleichzeitig durchdringt die digitale Technik bis dahin immer weiter die Gesellschaft.

Was bedeutet das für den Arbeitsmarkt?
Carl: Es gibt zahllose Tätigkeiten, in denen sich die Technik als besserer, digitaler Experte herausstellen wird. Der arbeitet dann 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche und ist dem Menschen in selbstlernenden Bereichen überlegen. Es wird dramatisch weniger LKW- und Taxifahrer geben, weil die Fahrzeuge automatisiert sind. Maschinen werden auch die besseren Ärzte, Apotheker, Steuerberater, Sachbearbeiter sein.

Wie soll ein Computer ein guter Arzt sein?
Carl: Das ist nicht die Zukunft, sondern schon die Gegenwart. IBM hat mit Watson eine Roboter-Technologie entwickelt, die in den USA bereits in der Krebsmedizin eingesetzt wird - einem Bereich mit vielen Datensätzen und Veröffentlichungen. Selbst der klügste Experte kann das nicht überblicken. Eine Maschine schon. Watson hat schon jetzt gelernt, Diagnosen zu erstellen und Therapien vorzuschlagen, besser als ein Arzt das könnte. Und wenn das irgendwo in den USA geht, dann geht es irgendwann auch in der Eifel.

Und der Arzt ist plötzlich verzichtbar?
Carl: Nein. Der Arzt kann sich viel stärker auf die Nähe zum Patienten konzentrieren. Er kann eine Beziehung aufbauen, kann der Coach meines Lebens sein. Viele Menschen behaupten, der Ausbau von Technik wird zu sozialer Kälte führen. Ich nehme genau das Gegenteil an.

Trotzdem klingt das alles nach einer ganz neuen Arbeitswelt.
Carl: Wir stehen vor einer Revolution. Die Menschen werden lernen müssen, dass es ein selbstlernendes, technisches System gibt. Für mich war es als Jugendlicher auch selbstverständlich, dass ein Taschenrechner besser rechnen kann als ich. Wir werden die Technik als etwas wie einen Kollegen begreifen müssen - und auch als Führungskraft akzeptieren lernen.

Ein Roboter als Chef?
Carl: Gucken wir uns mal Sie an. Sie sind Journalist. Wenn eine Zeitung drei Seiten füllen muss, kann ein Computer anhand von Facebook, Twitter und Agenturen herausfinden, worüber Menschen sprechen - und die verfügbaren Reporter einsetzen, um über das Thema zu schreiben. Das ist vorstellbar.

Das heißt, ich muss mir Sorgen machen, ob ich in zehn Jahren noch Arbeit habe?
Carl: Das kommt darauf an, wie Sie gestrickt sind und ob Veränderungen zu Sorgen führen. Manche Menschen mögen es, wenn sie die Sicherheit haben, 30 Jahre Ähnliches zu tun. Auf Dauer werden wir die stabilen Arbeitsverhältnisse nicht mehr haben.

Es gibt in zehn Jahren also viel Technik - und hohe Arbeitslosigkeit?
Carl: Wir werden vor allem viel Dynamik erleben. Geht es darum, ob es für jeden einen Platz in der Arbeitswelt gibt, dann sage ich ganz klar: Ja!

Was stimmt Sie optimistisch?
Carl: In unserem mitteleuropäischen Kontext wird es mehr Arbeit geben als Menschen da sind, die diese leisten können. Es wird so etwas wie Vollbeschäftigung geben.

Was passiert mit den Menschen, die durch Maschinen ihren Job verlieren oder keine Techniker sind?
Carl: Lange Zeit galt: Je leistungsfähiger die Technik, desto komplexer ist sie zu bedienen. Dies wird sich in den kommenden Jahren ins genaue Gegenteil umkehren. Technik wird - zumindest bei einfachen Tätigkeiten - immer mehr auch ohne technisches Fachwissen zu bedienen sein.

Was bedeutet die Entwicklung für Unternehmen?
Carl: Der Arbeitsmarkt kehrt sich in den nächsten zehn Jahren um. Plötzlich sind die Arbeitskräfte nicht mehr von der Ur-Angst getrieben, ohne Job zu sein. Für die Unternehmen ist das schlecht. Sie müssen sich umso mehr fragen, was sie ihren Arbeitnehmern zu bieten haben. Botschaften, kinderfreundlich zu sein und Teilzeitmodelle anzubieten, werden den Bereich der Sonntagsreden verlassen - und zu einer echten Herausforderung.

Sie gehen von sorgenden Unternehmen aus. Was müssen diese leisten?
Carl: Manche Unternehmen werden die Fürsorge auf die Spitze treiben, um Arbeitskräfte für sich zu begeistern. Da geht es nicht mehr um Teilzeitangebote und Kita-Zuschüsse, sondern auch um Versicherungspakete und Pflegeleistungen für alte oder kranke Angehörige. Wir werden eine Rückkehr von Werkssiedlungen sehen, die im ländlichen Raum ein hochinteressantes Modell sind.

Was verstehen Sie darunter?
Carl: Firmen ziehen Häuser hoch, schaffen Einkaufsmöglichkeiten, unterhalten Schulen. Arbeitskräfte verlassen ein Unternehmen dann nicht mehr so schnell.

Wie soll ein ländliches Unternehmen das bezahlen?
Carl: Natürlich: Das ist teuer für Unternehmen. Aus Personalmangel Produkte nicht herstellen und Services nicht anbieten zu können, ist allerdings deutlich teurer.

Gibt es dann nur noch sorgende Unternehmen?
Carl: Nicht alle Menschen werden sich dafür begeistern lassen. Die Attraktivität von Fest-anstellungen wird sinken. Die Angst, in zwei Jahren arbeitslos zu werden, ist gegenstandslos, wenn ich aufgrund der offenen Stellen in der freien Wirtschaft ohnehin einen Job in zwei Jahren haben werde - schon rein statistisch gesehen. Viele Arbeiter lassen sich dann eher motivieren, wenn Unternehmen Ihnen eine Stelle anbieten, in der sie helfen und sich weiterentwickeln können - und dann ziehen sie weiter.

Und wie lange arbeiten Menschen im Jahr 2025?
Carl: Vielleicht bis 80? Es wird keine Renten mehr geben, von denen wir wunderbar leben können. Wir werden älter, es geht uns länger sehr viel besser. Der Zeitraum zwischen 60 und 90 ist zu lang, um zu sagen, ich fahre nur im Sommer nach Spanien. Das wird irgendwann langweilig. Es wird ein großes Bedürfnis geben, diese Lebensphase mit Sinn zu füllen. Das können pflegerische Tätigkeiten sein, aber auch Beratung, weil Werte wie Erfahrung gefragt sein werden.

Was ist der richtige Bildungsweg, um sorgenfrei in die Zukunft gehen zu können?
Carl: Nur Fachwissen anzusammeln, ist jedenfalls nicht der Weg. Dafür verliert Wissen längst zu schnell an Wert. Was wir lehren müssen, ist Mut, Verantwortung, Kreativität, Empathie, Kommunikation - und die Gewissheit, dass wir unser Leben lang lernen werden. florExtra

Michael Carl arbeitet als Unternehmensentwickler für das Leipziger Trendinstitut 2b Ahead. Dort arbeiten Wissenschaftler und Strategieberater eng mit deutschen und internationalen Firmen zusammen. Carl hat Familienangehörige in der Region Trier. flor Jobben bis 80, Firmen unter Druck: Wie sich die Arbeitswelt wandelt

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