Widerstand gegen "Schmalspurausbildung"

Berlin · Der im Januar vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzentwurf zur Neuordnung der Pflegeberufe hat in seiner jetzigen Form wenig Chancen auf Verwirklichung. Neben zahlreichen Fachverbänden machen auch die Grünen, die im Bundesrat über eine Blockademehrheit verfügen, dagegen mobil. Gemeinsam forderte man gestern eine Aussetzung des Gesetzesverfahrens, um offene Fragen zu klären.

Berlin. Aus eins mach drei. So lautet die Devise von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bei der Reform der Pflegeausbildung. Was bisher Kranken-, Kinderkranken- und Altenpfleger mit spezieller Ausbildung waren, sollen künftig "Pflegefachfrauen" und "Pflegefachmänner" stemmen, die dann in allen drei Bereichen einsetzbar sind.
Der Allgemeinheit könnte das auf den ersten Blick eher gleichgültig sein. Doch die Reform hat weitreichende Folgen für die künftige Versorgung hilfsbedürftiger Menschen. Schon heute fehlen etwa 30 000 Fachkräfte allein in der Altenpflege. Im Jahr 2030 könnten es laut Studien bis zu 300 000 sein.
Gröhes Gesetz soll gegensteuern. Der Minister verspricht sich davon eine höhere Attraktivität des Pflegeberufs. Genau das bezweifeln jedoch Opposition und Fachverbände. Nach ihrer Einschätzung wird sich der Personalmangel sogar noch verschärfen.
"Ambulante Dienste, die Pflegefachkräfte einstellen, werden aus der Ausbildung aussteigen", prophezeite Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) gestern vor Journalisten in Berlin. Als Grund nannte sie das geplante Finanzierungsmodell, bei dem ein Teil der Kosten beim Ausbildungsbetrieb hängenbleibt.
Der Kinder- und Jugendmediziner Frank Jochum verwies darauf, dass sich zumeist Abiturientinnen ganz bewusst für die Kinderkrankenpflege entschieden. Eine generalistische, vornehmlich auf Erwachsene ausgerichtete Ausbildung sei für sie nicht attraktiv, so Jochum. Dieser Standpunkt wird von mehr als einem Dutzend Organisationen vertreten. Dazu gehören die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und die Bundesarbeitsgemeinschaft Kind und Krankenhaus.
Hauptschüler im Abseits?


Umgekehrt gibt es auch Befürchtungen, dass Hauptschüler durch die vereinheitlichte Ausbildung das Nachsehen haben könnten. Derzeit ist das Niveau der Altenpflegeausbildung niedriger als das der Krankenpflege. Dort haben 70 Prozent der Lehrlinge Abitur, in der Altenpflege nur 30 Prozent.
Durch die steigenden Anforderungen im Zuge der Generalistik könnten Hauptschüler, die für die Altenpflege infrage kämen, abgeschreckt werden.
Nach Gröhes Plänen soll die gemeinsame Ausbildung drei Jahre dauern. Genauso lange wie jetzt für jeden Pflegeberuf bei getrennter Ausbildung. Der praktische Teil soll ebenfalls alle Tätigkeitsfelder vermitteln. "Eine Fachkraft soll dann vom Säugling bis zum Hospiz alles können. Das ist eine Überfrachtung", meinte die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Elisabeth Scharfenberg. "Wir brauchen Experten und keine Schmalspurausbildung", sagte auch Jörg Rehman vom Bündnis für Altenpflege, in dem rund ein Dutzend Verbände organisiert sind.
In der Kritik von Grünen und Pflege-Lobby steht auch der Fahrplan der Gesetzgebung. So sollen die konkreten Ausbildungsinhalte in einer Verordnung geregelt werden, die womöglich erst nach der für Ende Juni anvisierten Verabschiedung des Gesetzes im Bundestag fertig wird. Die Grünen pochen auf eine Veröffentlichung noch vor Einbringung des Gesetzentwurfs im Bundestag. Bis dahin müsse das Verfahren ausgesetzt werden, forderte Scharfenberg. Das letzte Wort hat der rot-grün dominierte Bundesrat, denn die Vorlage ist dort zustimmungspflichtig.

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