Widerstand gegen "knallharte US-Interessen"

Berlin · Die Debatte um das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (TTIP) nimmt deutlich an Fahrt auf. Denn die höchst komplizierten Verhandlungen gehen Anfang Februar weiter und sollen noch in diesem Jahr zu einem Ergebnis führen.

Für TTIP wird es langsam ernst: Während schon ein ähnliches Abkommen mit Kanada (CETA) fertig ist, über das der Bundestag demnächst befinden muss, machen nun Befürworter und Gegner für das Abkommen mit den USA mobil.
Mitte der Woche meldete sich die Industrie. Die Bosse der größten deutschen Autokonzerne verlangten bei einem ungewöhnlichen gemeinsamen Presseauftritt in Berlin, auch die Chancen der Abkommen zu sehen. Allein die bestehenden Zölle addierten sich für die Branche auf rund eine Milliarde Euro, die gespart werden könnten. Entlastungen durch gleiche technische Standards und Prüfverfahren kämen hinzu. Am Tag darauf meldete sich der Branchenverband der Maschinenbauer. Gerade für den Mittelstand bedeuteten unterschiedliche Normen und Regeln einen immensen Aufwand, hieß es.

Nun stellte sich ein ungewöhnliches Bündnis der Kritiker dagegen. Immerhin elf der 22 Mitglieder des TTIP-Beirats, den Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) ins Leben gerufen hatte, um ihn zu beraten, stehen dahinter. Ihr Papier, das von den Grünen sogleich begrüßt wurde, hat Gewicht, denn damit haben sich Gewerkschaftsorganisationen wie DGB, IG Metall und verdi, der Deutsche Kulturrat, der Städtetag und Naturschutzverbände auf eine gemeinsame Position geeinigt. Ein grundsätzliches Nein zu einem Freihandelsabkommen enthält der Text nicht.

Allerdings wird die Befürchtung geäußert, dass mit dem Argument der Handelsfreiheit niedrigere Standards durchgesetzt werden sollten. So drohe die Buchpreisbindung und die deutsche Kulturförderung in Gefahr zu geraten, sagte Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste. Die Gewerkschaften verweisen darauf, dass die USA wesentliche Teile der Charta der internationalen Arbeitsorganisation ILO nicht unterzeichnet haben und befürchten einen Druck auf den Dienstleistungsbereich, wie DGB-Vize Stefan Körzell sagte. Und Ökoverbände warnen, TTIP könne die Einfuhr sowohl von genveränderten Lebensmitteln als auch von Öl und Gas aus Fracking-Quellen ermöglichen. Es gehe um "knallharte US-Interessen", sagte der Präsident der Umweltschutzorganisation BUND, Hubert Weiger.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will die Bedenken offenbar ernst nehmen. In einem Brief an alle SPD-Mitglieder sprach er sich am Mittwoch zwar grundsätzlich für ein Freihandelsabkommen aus, "aber nicht um jeden Preis". Die Globalisierung brauche Spielregeln, forderte er genau wie die Kritiker. Allerdings sei TTIP auch eine Chance, diese von Europa aus mitzubestimmen, womöglich die letzte. Man müsse kein Prophet sein, um zu wissen, dass die Standards des Welthandels in Zukunft weit mehr durch die Asien-Pazifik-Region bestimmt würden, meinte der Vizekanzler.

Der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, Jürgen Hardt (CDU), wies die Befürchtungen der Beiratsmitglieder zurück. Die sorgfältige Analyse des CETA-Vertrages sowie des Verhandlungsmandats der EU-Kommission für TTIP lieferten "keine sachliche Grundlage für diese Kritik", sagte Hardt auf Anfrage. Auch die Union beschäftigt sich derzeit intensiv mit dem Thema. In dieser Woche hat die zuständige Arbeitsgruppe über das umstrittene Investor-Staats-Schiedsverfahren im CETA-Vertrag diskutiert, das bei Streitigkeiten jenseits der üblichen Gerichte greifen soll. Die Christdemokraten erkannten keine Probleme. Gabriel will hier allerdings noch Nachbesserungen.

In seinem Brief an die Basis musste er aber einräumen, dass etliche EU-Ländern mit sozialdemokratischer Regierung CETA "durchaus positiv" sehen. Man müsse, schrieb Gabriel, die Positionen untereinander jetzt erst einmal "stärker abstimmen".Extra

Bei der Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) geht es um mehr geht als nur um ein klassisches Freihandelsabkommen. Neben dem Zollabbau versprechen sich EU und USA zusätzliche Wirtschaftskraft vor allem durch die Angleichung von Regeln. So soll beispielsweise ein Auto mit einer technischen Zulassung in Europa automatisch auch auf Amerikas Straßen fahren dürfen - die Hersteller sparen sich Tests. Als problematischer und der Öffentlichkeit schwerer zu verkaufen erweist sich diese Harmonisierung von Standards bei Agrarprodukten und Lebensmitteln. In einem sogenannten Regulierungsrat will man sich - wenn das TTIP-Abkommen tatsächlich in Kraft treten sollte - verpflichtend über bevorstehende Gesetzesinitiativen unterrichten. Kritiker befürchten, dass Konzerne und die US-Regierung Gesetze innerhalb der EU lange vor den gewählten Parlamenten einsehen und beeinflussen. zied

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