Wie Amsterdam nach Colorado kam

Denver · In den USA sind Verkauf und Erwerb von Marihuana streng verboten - außer im Bundesstaat Colorado, der die Droge zum 1. Januar legalisiert hat. Seitdem besorgen sich immer mehr Bürger im Laden um die Ecke ihr Gras. Und Händler wittern das große Geschäft.

Denver. Angefangen hat es in Amsterdam, wo sonst. Es ist elf Jahre her, da verbrachten Mitch und Eva Woolhiser ihre Flitterwochen in der Stadt, in der man unbeschwert Gras rauchen konnte. "Wenn das je bei uns möglich wird, sollten wir vorneweg marschieren", schworen sich die beiden. "Und nun", sagt Eva Woolhiser, einst Zahnhygienikerin, "nun ging es so schnell, dass ich mich manchmal kneifen muss, weil ich denke, das kann nicht sein, das träumst du nur." Denver, am Fuße der Rocky Mountains gelegen, hat jetzt sogar Amsterdam überholt. Es hat dem Genuss von Cannabis nicht nur das Stigma des Kriminellen genommen, sondern auch einen staatlich regulierten Markt dafür geschaffen, mit Steuern und Stichprobenkontrollen. Einen Markt wie für Zigaretten oder Whiskey.Blüten, Kekse und BrowniesAn der Tür von Northern Lights leuchtet ein neongrünes Kreuz, drinnen lässt das Ambiente an eine Mischung aus Arztpraxis und Edelkonditorei denken. Über einer Sofaecke stehen Gläser in einem dezent beleuchteten Regal, gefüllt mit getrockneten Cannabisblüten. "Etwas für die gute Laune", sagt Eva Woolhiser und präsentiert ihre belebenden, berauschenden Sorten Chernobyl, Sour Diesel, Jack\'s Cleaner. Daneben die einschläfernden, schmerzlindernden Blüten Dacono Kush, Kandy Kush, Blue Mystic. In einer Vitrine finden sich die essbaren Produkte: Kekse mit Hanfgeschmack oder Cannabis-Brownies. Wer den Laden betritt, muss sich ausweisen. Es gelten die gleichen Regeln wie beim Ausschank von Alkohol: Bedient wird nur, wer 21 ist oder älter. "Ach, ich will einfach mal richtig kichern", sagt ein Mittvierziger. "Ich wünschte mir, ich hätte es schon viel früher probiert." Eine Rentnerin schwört auf Marihuana, weil es gegen Arthritis helfe. Abends pikst Eva Woolhiser Stecknadeln in eine Landkarte, um zu zeigen, woher die Leute kommen. Texas, Kentucky, Louisiana: Die Südstaaten, wo der Genuss von Pot am härtesten geahndet wird, sind stark vertreten.Lieber inkognito als ausgeraubt

Ortswechsel. Ein Industriepark irgendwo an einer Bahnlinie. Mitch Woolhiser hat früher Software programmiert, heute leitet er ein Cannabis-Gewächshaus. Draußen verrät kein Schild, nichts, was sich drinnen befindet. "Du musst es nicht jedem auf die Nase binden", erklärt Eva Woolhiser. Lieber inkognito als ausgeraubt. 2009, als Colorado den Rauschgiftkonsum zu Heilzwecken zuließ, hat sich das Paar seinen Amsterdamer Traum erfüllt und mit dem Pflanzen begonnen, "in einem Keller, das reinste Provisorium". Jetzt mieten sie eine kleine Fabrikhalle, in der einmal Wurst abgepackt wurde, in einer schummrigen Gegend. Es dürfen exakt 3000 Pflanzen in der Halle wachsen, festgelegt nach staatlichem Plan. Jede einzelne ist mit einem Barcode versehen, damit Inspektoren sie scannen können. Wer mit Marihuana handelt, muss nachweisen, dass mindestens 70 Prozent seiner Ware aus eigenem Anbau stammen. Und sobald eine Ladung Blüten die Halle verlässt, meldet es Mitch Woolhiser, penibel wie ein Buchhalter, an die Behörden. Es ist die Transparenz, mit der Colorado der Schattenwelt der Drogenkartelle das Wasser abzugraben versucht. Der Haken ist, der Kundenansturm übertrifft alle Erwartungen. Im Großraum Denver gibt es rund 60 Pot-Geschäfte, wie sich herausstellt, zu wenig für ein Ballungsgebiet mit fast drei Millionen Bewohnern. Theoretisch darf jeder eine Unze kaufen, 28 Gramm. Praktisch kommen die Woolhisers, wie alle anderen auch, mit dem Pflanzen nicht hinterher. Bereits eine Woche nach dem Start in der Silvesternacht mussten sie Rationen einführen, höchstens sieben Gramm für jeden. Dann ist da noch die Sache mit den Banken. Nach amerikanischen Bundesgesetzen sind Drogen noch immer tabu, zudem ein Synonym für Geldwäsche. Also keine Konten für Drogenhändler, auch nicht für legale, da geht keine Bank ein Risiko ein. Nicht nur, dass die Händler ihre Tageseinnahmen bündelweise zu irgendeinem Tresor fahren müssen, sie bekommen auch nirgends Kredit. Und: Bei Northern Lights zahlt man ausschließlich bar, was in den USA, dem Mutterland der Kreditkarte, so ungewöhnlich ist, als liefe man mit einer Flasche Budweiser in der Hand über die Straße.Gekifft wird nur zu Hause

Eva Woolhiser spricht nicht von einem Rausch, sie spricht von überfälliger Normalisierung. Es ist auch nicht so, dass ganz Denver nach Gras riecht. Nur in Privatwohnungen darf gekifft werden, in der Öffentlichkeit, gleich ob in Kneipen oder in Parks, bleibt es verboten. Trotz des Improvisierens am Start gibt es Leute, die das ganz große Geschäft mit dem grünen Rausch wittern. Tripp Keber etwa, der Marihuana-Mogul, wie die Boulevardpresse ihn nennt. Unter der Marke Dixie Elixirs lässt er Brause, Bonbons und Gebäck mit Haschischbeigabe herstellen und sich feiern, als wäre er ein genialer Computerbastler aus einer Silicon-Valley-Garage - der Mann der Zukunft. Extra

Das Rauschmittel Cannabis wird aus Hanfsorten gewonnen. Blütentrauben und Blätter der Pflanze werden getrocknet und als Marihuana,im Jargon Gras genannt, geraucht. Das Harz wird zu Haschisch weiterverarbeitet. Der Cannabisrausch tritt meist relativ schnell ein und besteht vor allem aus psychischen Wirkungen, die erheblich von der jeweiligen Grundstimmung des Konsumenten beeinflusst werden. Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit können vermindert werden, ebenso die Leistung des Kurzzeitgedächtnisses. Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland - Kauf, Verkauf, Besitz, Handel, Anbau, Ein- und Ausfuhr sind strafbar, der Konsum selbst jedoch ist es nicht. Nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) werden die Herstellung und der Handel mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe belegt (§29 BtMG). Afghanistan ist mit einer Ernte von 3500 Tonnen pro Jahr der weltweit größte Produzent von Cannabis. Das in Deutschland erhältliche Marihuana wird größtenteils illegal im Inland unter Kunstlicht angebaut. red

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