Wie der Absturz des Germanwings-Flugzeugs Düsseldorf, Barcelona, Haltern verändert hat: Eine Chronologie des Grauens

Düsseldorf/Haltern/Barcelona · Seit 11.30 Uhr ist in Düsseldorf, Barcelona und Haltern nichts mehr, wie es war: Um diese Zeit ist bekannt geworden, dass der Germanwings-Flug 4U 9525 nie sein Ziel erreichen wird. Die Maschine ist in Frankreich abgestürzt. Die Reporter der Rheinischen Post haben die Ereignisse chronologisch zusammengefasst.

11.25 Uhr, Düsseldorf: Die Ankunftszeit auf der Anzeigetafel bleibt leer - für die Angehörigen der Passagiere vom Germanwings-Flug 4U 9525, die am Dienstagmorgen am Düsseldorfer Flughafen warten, wird ein Alptraum wahr. Als sie gegen 11.30 Uhr die Nachricht vom Absturz die Menschen erreicht, breitet sich lähmendes Entsetzen aus. Notfallseelsorger kümmern sich um die Angehörigen, bringen sie in den abgeschirmten VIP-Bereich. Vor dem Abflugschalter von Germanwings stehen zehn Bundespolizisten und zwei Frauen mit blauen Westen, um weitere Angehörige der Unglücksmaschine abzufangen. Insgesamt betreuen 15 Flughafen- und Notfallseelsorger die Menschen vor Ort.

11.35 Uhr, Haltern: Am Joseph-König-Gymnasium in Haltern verdichtet sich die Nachricht, dass an Bord der Unglücksmaschine 16 Schüler und zwei Spanisch-Lehrerinnen waren. Schulleiter Ulrich Wessel beendet sofort den Unterricht. Angehörige erfahren durch die Medien von dem Absturz und versuchen, ihre Kinder zu kontaktieren. Als sie niemanden erreichen, rechnen sie bereits mit dem Schlimmsten. Die Zehntklässler waren zu Besuch beim Institut Giola in Llinars del Vallès in der Nähe von Barcelona, im Dezember hatte es einen Besuch von zwölf Austauschschülern aus Spanien an der Schule gegeben.

11.40 Uhr, Düsseldorf: In der Abflughalle des Düsseldorfer Flughafens herrscht eine beklemmende Stimmung, Reisende tauschen betreten fragende Blicke aus. Alle wollen wissen, was genau passiert ist. Der Servicemitarbeiter von Germanwings kann die Fragen nicht beantworten, schüttelt mit dem Kopf. "Ich kann nichts sagen. Es ist so traurig", sagt er. Plötzlich nähern sich zwei Frauen und ein Mann dem Schalter. Die Frauen in den blauen Westen, die Abholer genannt werden, gehen sofort auf die drei zu, schirmen sie ab, nehmen sie in die Arme. In der Maschine saßen Freunde des Trios. Die Abholer bringen sie in den gesperrten Bereich. "Es ist ein rabenschwarzer Tag für die Luftfahrt. Unsere Gedanken sind bei den Hinterbliebenen", sagt Flughafensprecher Thomas Kötter wenig später.

11.50 Uhr, Barcelona: Langsam sickern Informationen durch. Der Airbus A 320 war um 10.01 Uhr in Barcelona mit dem Ziel Düsseldorf gestartet, an Bord 144 Passagiere, darunter 67 Deutsche und 45 Spanier, sowie sechs Besatzungsmitglieder. Um 10.45 Uhr ging die Maschine aus 11000 Meter Höhe in den Sinkflug über, um 10.53 Uhr gab es den letzten Radarkontakt. Der Passagierjet stürzte nahe des Ortes Digne im Département Alpes-de-Haute-Provence ab, in einer schwer zugänglichen Bergregion, die nur mit dem Hubschrauber und zu Fuß zu erreichen ist. Zur Unglücksursache gibt es bisher keine Erkenntnisse.

12.10 Uhr, Seyne-les-Alpes: Rund zehn Kilometer westlich der Unglücksstelle wird ein Krisenstab eingesetzt, den später Innenminister Bernard Cazeneuve zusammen mit der deutschen Botschafterin Susanne Wasum-Rainer besuchen. Von dort aus starten Hubschrauber und Rettungswagen Richtung Absturzstelle. In die Gemeinde mit ihren 1400 Einwohnern, sollen später auch die Leichen gebracht werden, die geborgen werden.

12.30 Uhr, Haltern: Vor dem Haupteingang des Halterner Gymnasiums steht ein Polizeiwagen. Er soll verhindern, dass Unbefugte ins Gebäude eindringen. Viele Schüler lassen ihrer Trauer freien Lauf. Auf dem Vorplatz der Schule steht eine Gruppe von 15 jungen Mädchen, nicht älter als 14 Jahre. Sie umarmen sich, bilden einen Kreis, sprechen sich gegenseitig Mut zu. Viele weinen, aus ihren Rucksäcken holen einige von ihnen Kerzen und stellen sie auf eine Tischtennisplatte. Auch an anderen Stellen zünden Schüler Kerzen an und legen Tulpen nieder, um der Verstorbenen zu gedenken. "Es sind fürchterliche Geschehnisse, die uns alle zutiefst betroffen machen", sagt Schulleiter Wessel.

13.40 Uhr, Barcelona: "Wir sind entsetzt. Ich hoffe, dass es alles nur ein Irrtum ist", sagt Jordi Campoy der katalanischen Zeitung Ara. Er ist ein Freund von zwei Passagieren des Germanwings-Flugs. Sein 40 Jahre alter Bekannter habe für den Pharmakonzern Bayer gearbeitet, sagt Campoy. Er sei die Strecke mehrmals in der Woche geflogen. Die andere Bekannte sei die Ehefrau eines Bayer-Mitarbeiters. "Sie ist nach Deutschland gereist, um ihre Kinder zu besuchen, die dort leben", sagt der Spanier mit Tränen in den Augen. Ein Bayer-Sprecher in Leverkusen bestätigt später, dass ein Mitarbeiter der Bayer-Tochterfirma Euroservices in Barcelona in der Unglücksmaschine saß. Er sei auf dem Weg zur Konzernzentrale in Leverkusen gewesen.

14 Uhr, Haltern: Direkt neben dem Gymnasium der 38.000-Einwohner-Stadt liegt der Bahnhof. Einige Schüler, die am Nachmittag hier angekommen sind, wissen nicht, dass Jugendliche aus ihrer Stadt unter den Opfern von Flug 4U 9525 sind. Maike L. wird kreidebleich, als sie davon erfährt, nachdem sie aus dem Zug gestiegen ist. "Das ist für mich ein Schock", sagt sie. Ob man schon wüsste, wer unter den Toten sei, will sie wissen. Niemand am Bahnhof kann es ihr sagen. Sie rennt zur Schule hinüber, an der auch immer mehr Angehörige eintreffen. Notfallseelsorger betreuen Schüler und Hinterbliebene.

14.20 Uhr, Seyne-les-Alpes: Ein Augenzeuge berichtet im Fernsehen über den Absturz. "Ich war im Sessellift, als ich ein ganz lautes Geräusch einer Flugzeugturbine gehört habe", sagt der Mann. Ein weiterer Augenzeuge erzählt im Radio von einem Flugzeug, das extrem niedrig flog. "Ich hatte keine direkte Sicht, wegen der vielen Berggipfel rundherum", sagte David, der die Region nach eigener Darstellung sehr gut kennt. Er habe nur ein lautes Geräusch gehört und dann in der Ferne dichte Rauchwolken aufsteigen sehen.

15 Uhr, Düsseldorf: Auch eine Mitarbeiterin des Düsseldorfer Henkel-Konzerns verlor ihr Leben, wie der Chemie-Konzern bestätigt. Ebenso war ein Manager des in Ratingen sitzenden Modekonzerns Esprit an Bord, wie eine spanische Internet-Seite berichtete. Viele Unternehmen aus der Region Düsseldorf unterhalten geschäftliche Beziehungen nach Spanien. Aus dem Bereich der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf und des Kreises Mettmann sind es rund 800. In Stadt und Region Barcelona sind neben Henkel und BASF unter anderem Bayer, Lanxess und Evonik vertreten.

15.10 Uhr, Barcelona: Auch in Barcelona herrscht fassungsloses Entsetzen angesichts der toten Schüler. "Vor einigen Minuten waren alle noch hier. Was heute passiert ist, ist einfach schockierend", sagte Anna Garcia, eine Schülerin der Halterner Partnerschule, der katalanischen Tageszeitung Ara. Laut Garcia waren 14 Mädchen und zwei Jungen aus Deutschland an dem Austausch beteiligt. Eines der deutschen Mädchen habe kurz vor dem Abflug ihren Reisepass in Llinars bei ihrer Austauschfamilie vergessen. Sie sei deshalb nicht mit den anderen Schülern im Zug Richtung Flughafen mitgefahren. "Ihre Austauschfamilie hat sie dann aber schnell mit dem Auto zum Flughafen gefahren. Sie saß also doch mit in der Maschine", sagt Garcia.

Ein Handyfoto zeigt die Schülergruppe in Barcelona. Alle wirken fröhlich. Unter den Jugendlichen sind die Ausflüge nach Spanien beliebt. Sarah (19) und Linda (20) sind vor zwei Jahren ebenfalls mit Germanwings zum Austauschprogramm in die Metropole geflogen. "Wir haben dort Ausflüge gemacht, waren am Meer, es war eine schöne Zeit." Die beiden Mädchen kannten auch eine der gestorbenen Lehrerinnen. Als sie von dem Unglück erfuhren, kamen sie zur Schule und legten Rosen nieder.

17.02 Uhr, Haltern: Bürgermeister Bodo Klimpel tritt vor die Presse. Er ringt um Fassung, versucht, die richtigen Worte zu finden. "Es ist der schwärzeste Tag in der Geschichte unserer Stadt. Das Schlimmste, was man sich vorstellen kann, ist eingetreten." Wie es an der Halterner Schule weitergehen soll, ist unklar. Am Mittwoch soll es keinen normalen Unterricht geben. Stattdessen werde über das Unglück gesprochen, um es aufzuarbeiten.

17.15 Uhr, Barcelona: Auch bei Ann Kristin Götz aus Mettmann sitzt der Schock tief. Sie wollte ursprünglich mit der Maschine fliegen, die am Morgen verunglückt ist. "Wir haben uns dann aber doch dagegen entschieden, weil wir noch einen Tag länger in Barcelona bleiben wollten", erzählt sie. "Es ist jetzt natürlich ein unglaublich heftiges Gefühl, dass man weiß, man hätte selbst in der Maschine sitzen können." Noch am Abend wollte sie ihren Rückflug von Barcelona nach Düsseldorf antreten - ebenfalls mit einer Germanwings-Maschine. Bei dem Gedanken daran beschleicht die 21-Jährige ein mulmiges Gefühl. "Ich muss sagen, ich habe ein bisschen Probleme damit, heute noch mit Germanwings zu fliegen, was man sicherlich auch verstehen kann."

17.35 Uhr Düsseldorf, Staatskanzlei: Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), die sichtlich angespannt wirkt, sagt: "Die Trauer in Nordrhein-Westfalen ist groß." Das Land trauere um alle Opfer. Besonders bewege sie aber das Schicksal der 16 Schülerinnen und Schüler sowie der beiden Lehrer aus Haltern. Kraft: "Ich schaffe es nicht, mich in die Lage derjenigen zu versetzen, die diese Nachricht entgegennehmen mussten." Dennoch versuche sie Trost zu spenden, so gut es geht. Sie schließe die Opfer und deren Angehörige und Freunde in ihre Gebete in. Sie werde von Berlin aus mit Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Unglücksstelle fliegen; die Einzelheiten stünden noch nicht fest.

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