Wie die EU den Brexit steuern will

Brüssel · Nichts Greifbares zum Brexit, die üblichen Appelle zu Syrien: Die krisengestresste EU rettet sich in die Winterpause. Immerhin zum Ukraine-Konflikt treffen die Mitgliedsländer eine Entscheidung: Die Sanktionen gegen Russland werden verlängert.

Brüssel. Es war ein anstrengendes und frustrierendes Jahr Europa-Politik, auf das die 28 Regierungschefs bei ihrem Dezember-Gipfel zurückblickten. Ob in den Niederlanden, Großbritannien oder in Italien, Pro-Europäer wurden regelmäßig abgestraft, wenn das Wahlvolk um seine Meinung gebeten wurde. In vielen inhaltlichen Fragen sind sich die Regierungschefs uneinig.Peinliche Vertagung


Am peinlichsten ist, dass einige Mitgliedsländer im Osten sich nicht an die vereinbarten Regeln zur Umverteilung von Flüchtlingen halten wollen. Da hier keine Lösung in Sicht ist, wurde dieser Streitpunkt beim vorweihnachtlichen Treffen in Brüssel ausgeblendet. Vertagt. Das kleine Malta, das ab Januar die Ratspräsidentschaft innehat, soll einen Kompromiss finden.
Wenigstens etwas Kitt sollte der Gipfel bringen. Es geht um das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. Im April hatten die Niederländer in einem Referendum "Nee" dazu gesagt. Damit droht die Ratifizierung im Kreise der 28 zu scheitern. Der Gipfel will dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte jetzt eine Brücke bauen. Im Vorfeld wurden in fünf Punkten Klarstellungen zum fertigen Abkommen formuliert. Damit sollen Bedenken in den Niederlanden ausgeräumt werden. So soll deutlich gemacht werden, dass eben nicht an den Beitritt des Landes zur EU gedacht ist. Ein EU-Diplomat: "Dies ist die letzte Chance, das Abkommen zu retten." Klar ist: Wenn der Anlauf scheitert, hätte Putin einen Grund mehr zur Freude. Das gilt an anderer Stelle definitiv nicht: Die wegen des Ukraine-Konflikts verhängten Wirtschaftssanktionen gegen Russland werden um weitere sechs Monate verlängert. Darauf haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs gestern Abend noch geeinigt.
Putin spielt auch beim zweiten großen Thema des Gipfels eine Rolle. Die Menschenrechtsverletzungen beim Bürgerkrieg in Syrien ereignen sich unmittelbar vor der Haustür der EU. Zum Gipfel ist der Bürgermeister von Ost-Aleppo gekommen und hat den Regierungschefs die hoffnungslose Lage vor Ort geschildert (siehe Seite 4 dieser Ausgabe). Die Ohnmacht der Europäer ist mit Händen zu greifen. Wieder einmal bleibt der EU nichts übrig als Appelle zu schicken.
Die Drohung, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, klingt lau: "Die EU zieht alle verfügbaren Optionen in Betracht." Alle wissen, dass Sanktionen gegen Russland wegen der Unterstützung für den syrischen Machthaber Assad im Kreis der 28 keine Chance auf die notwendige Einstimmigkeit hätten. Bei allem Streit zwischen den EU-Hauptstädten gab es bei einem Thema 2016 keine Meinungsverschiedenheiten. Beim Thema Brexit-Verhandlungen haben sich die 27 Länder der Rest-EU untergehakt. Auch zwischen den EU-Institutionen gab es keine Reibereien. Die Harmonie hat jetzt einen Kratzer bekommen. Der scheidende Präsident des EU-Parlamentes, Martin Schulz (SPD), nutzt seinen voraussichtlich letzten EU-Gipfel noch einmal für den ganz großen Auftritt. Er wirft Kommission und Rat vor, das Parlament bei den im März wohl beginnenden Verhandlungen mit London übergehen zu wollen. Schulz poltert: "Es gibt einen heftigen Interessenskonflikt." Schulz sieht das Parlament ausgebootet. Klar ist, dass das Dokument, das zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich bis Oktober 2018 ausgehandelt wird und die Scheidung besiegeln soll, vom Europaparlament gebilligt werden muss.Abendessen ohne May


Die britische Premierministerin Theresa May musste erst abreisen, bevor die Regierungschefs über das Thema sprechen, das Schulz so empört. Nach dem formellen Ende des Gipfels beim Abendessen im Kreis der 27 geht es um den Brexit. Dabei wird ein Papier verabschiedet, das in sieben Punkten Formalien der Verhandlungen festlegt. Tatsächlich sieht das Dokument, das als Entwurf unserer Zeitung vorliegt, lediglich die "Unterrichtung" und den "Gedankenaustausch" mit dem EU-Parlament vor. Der Präsident des Parlamentes, also der Schulz-Nachfolger, werde zu jeder Sitzung eingeladen und "zu Beginn jeder Tagung gehört", heißt es da. Im Klartext heißt das aber auch, dass er von den Verhandlungen ausgeschlossen ist.
Bei dem Abendessen wollten sich die 27 Regierungschefs zudem darauf einigen, der Kommission und damit dem von Jean-Claude Juncker benannten Unterhändler Michel Barnier die Verhandlungsführung zu übergeben. Das ist auch sinnvoll, weil nur die Kommission über den Pool an Experten für die schwierige Materie verfügt.

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