Brotlose Künstler

Trier · Der Begriff "brotlose Kunst" steht im Volksmund für eine Tätigkeit, die zwar interessant sein mag, aber nicht nennenswert zum Einkommen des Ausübenden beiträgt. Für manche Künstler in Trier hat das geflügelte Wort eine ganz praktische Bedeutung: Sie bezahlen ihre Berufung mit einem Leben am Rand des Existenzminimums.

Wenn man nicht genau hinsieht, könnte man sie fast beneiden: Menschen, die den ganzen Tag ihrer Leidenschaft frönen, keinen Chef haben, manchmal sogar im Rampenlicht stehen. Doch Künstler zu sein, bedeutet eben oft auch, sich auf ein Dasein als Hungerkünstler einzulassen. Oder sagen wir weniger dramatisch: als jemand, der zu den untersten zehn Prozent der Einkommensskala gehört.

Für den Bereich der freien darstellenden Künstler, also Tänzer, Sänger, Schauspieler, hat eine Studie das Durchschnittseinkommen kürzlich mit 12 000 Euro ermittelt - im Jahr, nicht im Monat. Und da sind die Gutverdiener, die es in der Branche auch gibt, schon eingerechnet.

Allerdings wäre für viele bildende Künstler ein solches Einkommen schon luxuriös. Bildhauerei, Malerei, Performance: Wer davon leben will, muss sehr genügsam sein. Oder einen anderen Brotjob haben. "Höchstens vier, fünf" Trierer Künstler können ausschließlich von der Kunst leben, schätzt Tufa-Ausstellungsexpertin Christina Biundo.

Einer davon ist Laas Koehler. Der aus Berlin stammende Konzeptkünstler lebt und arbeitet seit vier Jahren in Trier, vorrangig im Umfeld der Tuchfabrik. Er sucht ungewöhnliche Orte für seine Aktionen, stellt beispielsweise schon mal in einem Waschsalon aus. Seine Arbeiten sorgen für Aufmerksamkeit, die Gesellschaft für bildende Kunst hat ihn als Gast zu ihrer Jahresausstellung eingeladen.

Neue Schuhe oder neue Rahmen?



Aber davon leben? Allenfalls mal gerade so. "Ich muss mich halt entscheiden, ob ich meine 14 Jahre alten Schuhe durch neue ersetze oder doch lieber ein paar Rahmen für meine Bilder kaufe", erzählt Köhler ohne jeden Anflug von Weinerlichkeit. Dass er überhaupt über die Runden kommt, liege daran, "dass ich mit jemandem in einer Beziehung lebe, der ein festes Einkommen hat".

Und eine gutbürgerliche Existenz? Das hat er schon ausprobiert, als Behindertenpädagoge. Aber es war nicht seins. "Kunst kommt weder von wollen noch von können, sondern von müssen", sagt er. So hat er sich vor fünf Jahren entschlossen, von Beruf Künstler zu sein - "und damit auch Lebenskünstler". Obwohl sein Einkommen am Existenzminimum liegt, sieht er sich "auf keinen Fall als Opfer, das vom Staat was verlangt". Lieber thematisiert er die Situation armer Künstler ironisch in seiner aktuellen Tufa-Ausstellung.

Patrick Rödig sieht die Situation weniger gelassen. Sich mit dem 37-Jährigen zu verabreden, ist derzeit nicht ganz einfach, sein Handyguthaben ist aufgebraucht. In der Stadt sieht man den Maler mit dem markant-langen Haupthaar schon mal beim Durchstöbern von Mülleimern nach Leergut.

"Er hat sich mit vielen Ausstellungen einen Namen gemacht", schrieb der TV schon 2002. Seither hat Rödig viel gearbeitet, für den Kultursommer, das Theater, immer wieder für kleinere Ausstellungen. Aber er lebt heute von der Grundsicherung, muss mit 50 Euro pro Woche über die Runden kommen. Für Leinwand und Farbe reicht das nicht. "Meine Kunst findet nur noch auf Bierdeckeln statt", sagt Rödig, das Ausstellungsangebot einer Luxemburger Bank musste er ablehnen, weil er sich keine Rahmen leisten konnte. Der Frust ist groß: "Die Gesellschaft müsste doch froh sein, dass es Künstler gibt".

Da bleibt nicht viel vom romantisierenden "armen Poeten". Öffentliche Einrichtungen tun sich schwer mit Klienten, die in kein Schema passen. Sozialämter sind nicht unbedingt auf flexible Lösungen für Künstler gepolt, und anderen droht, was Laas Koehler "die Arbeitsamtsfalle" nennt: ein Jobangebot, das nicht zum künstlerischen Selbstverständnis passt. Da sind Konflikte programmiert - denn, so Koehler, "einen echten Künstler interessiert die Rente nicht". Dieter Lintz

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort