Gelebte Utopien

Trier · Leben ohne Privatbesitz, Abgabe des eigenen Verdienstes, kollektive Entscheidung über die Gemeinschaftskasse und damit auch über individuelle Bedürfnisse: Was den meisten Normalbürgern als Schreckensvision erscheint, praktizieren die Mönche von St. Matthias freiwillig. Und fühlen sich gar nicht arm dabei.

Der Schritt ist endgültig: Wer nach angemessener Probezeit seine feierliche Profess beim Benediktinerorden ablegt, überschreibt seine irdischen Güter der Gemeinschaft. Unwiderruflich. Vermögen und Eigentum, aber auch künftige Einnahmen aus Berufstätigkeit. Und die gibt's zuhauf, gehen doch viele der weltzugewandten Mönche von St. Matthias als Richter, Stadtplaner oder Sozialarbeiter einem ganz gewöhnlichen Beruf nach.

Wer hier lebt, besitzt also - nichts. Jedenfalls nach dem bürgerlichen Eigentumsbegriff. Und doch muss Abt Ignatius Maaß auf die Frage nach dem Thema Armut einen Moment lang nachdenken. "Was ist hier bei uns eigentlich arm?", fragt er sich, aber es wirkt keineswegs rhetorisch. Die Benediktiner sind kein "Armuts-Orden". Die 17 Trierer Brüder leben nicht im Luxus, aber ihre Frömmigkeit geht auch nicht mit radikalem Konsumverzicht einher. Wenn der jährliche Haushaltsplan aufgestellt wird, meldet jeder seinen Bedarf an. Dazu gehört die Kleidung ("Wer außer Haus arbeitet, braucht natürlich mehr", sagt der Abt.), aber auch der Computer. Nicht zu vergessen der sommerliche Urlaub, den sich die Mönche genehmigen.

Über Ausgaben entscheiden alle



Der Kämmerer des Klosters, auch Cellerar genannt, erarbeitet eine Art Haushaltsplan, ein Wirtschaftsrat prüft die Vorlage, und schließlich entscheidet der Konvent, also die Vollversammlung, in letzter Instanz. Theoretisch klingt das einfach, aber die Praxis könnte Probleme aufwerfen. Was, wenn einer der Brüder das Bedürfnis verspürt, im Urlaub auf die Malediven zu fliegen? Da habe man sich auf "gewisse Standards" verständigt, berichtet der Abt. So beschränke man sich etwa beim Urlaub im Normalfall freiwillig auf Europa.

Im Großen und Ganzen, sagt Ignatius Maaß, funktioniere das Modell der individuellen Armut und des kollektiven Eigentums gut. Weil die Mönche hinter ihrer Lebensform stünden und dank Probezeit auch vorher wüssten, was auf sie zukommt. Und weil man sich gegenseitig "wie Erwachsene" behandele: Jeder beantrage nur, was er wirklich brauche, im Gegenzug akzeptiere die Gemeinschaft auch die Bedürfnisse. Dafür brauche es "Vertrauen und gegenseitige Verlässlichkeit", und beides sei vorhanden.

Also eitel Sonnenschein auch ohne persönliches Bankkonto und EC-Karte? Na ja, ganz ohne Einschränkungen geht es nicht, räumt Abt Ignatius ein. Der heute 53-Jährige war schon über 30, als er seine Profess ablegte - also selbstständiges Wirtschaften gewohnt. Und die Nutzung eines eigenen Autos. So etwas gibt es jetzt nicht mehr. Allerdings verfügt der Orden über vier PKW, die nach dem Prinzip des "Car-Sharing" genutzt werden: Wer sich als erster in die Terminliste einträgt, kann fahren.

Das klingt sehr pragmatisch, aber die persönliche Besitzlosigkeit hat auch eine philosophische Komponente. "Der Verzicht auf Eigenbesitz kann auch einen Gewinn an innerer Freiheit bedeuten", glaubt der Abt - "durch die Erfahrung, dass es nicht der Untergang ist, von anderen abhängig zu sein". Und schließlich, das streitet der Klostervorsteher gar nicht ab, steckt auch ein Stück soziale Utopie in der Lebensweise der Brüder: "Alles gehört allen, damit hat keiner nichts".

Dieter Lintz

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