Mehr als nur ein Zufallsmord

Berlin · Zwischen den Zeilen war gestern zu hören, wie überrascht einige Abgeordnete des Innenausschusses waren angesichts der neuen Erkenntnisse rund um die rechte Zwickauer Terrorzelle. Von Tag zu Tag kommt mehr Licht ins Dunkel über die 1998 untergetauchten Terroristen, über ihre Mordserie an neun Migranten in den Jahren 2000 bis 2006 sowie über die Tötung einer Polizistin in Heilbronn.

Berlin. "Das war eine in jeder Hinsicht erkenntnisreiche Sitzung", sagte der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags, Wolfgang Bosbach (CDU). Zuvor hatten dem Ausschuss der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, Bundesinnenminister Hans Peter Friedrich (CSU) und einige Vertreter von Landesbehörden Rede und Antwort gestanden.
Der Mord an der Polizistin Michele Kiesewetter:
Inzwischen scheint klar, dass die junge Frau 2007 auf einem Parkplatz in Heilbronn nicht zufällig getötet wurde. "Die Ermordung stellt sich mittlerweile ganz anders dar", bestätigte Bosbach. Im Ausschuss ist demnach von einer "Beziehungstat" die Rede gewesen. Denn offenkundig gab es Verbindungen zwischen dem Zwickauer Neonazi-Trio und der Polizistin. So sollen Mitglieder der Familie der Polizistin versucht haben, einen Gasthof in Thüringen anzumieten, der dann aber offenbar an einen der Terroristen, Uwe Mundlos, für Veranstaltungen der rechten Szene gegangen sei. In einem Fall habe es dort auch ein Treffen eines Motorradclubs gegeben. Die Polizistin wohnte laut Ermittler von 2001 bis 2003 direkt gegenüber dem Gasthof. Welche Art der Beziehung es zwischen Kiesewetter und den Tätern genau gab, wurde nicht klar.
Das Wohnmobil: Bisher hieß es, nach dem Überfall auf die Sparkasse in Eisenach am 4. November hätten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt das Wohnmobil angezündet und sich erschossen. Im Ausschuss erklärten die Ermittler, dass sich beide nicht gleichzeitig getötet hätten, es gebe auch nur eine Waffe, die verwendet worden sei. Bei Mundlos seien zudem Rußpartikel in der Lunge gefunden worden, so dass man nun davon ausgehe, dass er zunächst Böhnhardt erschossen und dann das Wohnmobil angezündet habe. Anschließend soll er sich selbst gerichtet haben. Erkenntnisse über die Anwesenheit einer dritten Person lägen nicht vor.
Unterstützer: Innenminister Friedrich sprach davon, dass rund ein Dutzend Verdächtige im Visier der Behörden seien. Im Ausschuss wurden Zahlen genannt: Neben dem Kern der drei Haupttäter gebe es inzwischen neun weitere Personen, von denen vier Beschuldigte seien und fünf Verdächtige. Sie hätten in einem "diffusen Umfeld zum Trio" gestanden. Möglicherweise gebe es weitere Verhaftungen, hieß es. Ins Visier der Ermittler geraten ist auch der Texter einer rechten Musikgruppe, der bereits 2010 über die Döner-Killer geschrieben hatte.
Das Netzwerk: Ende der 1990er Jahre muss es zunächst Fluchthelfer gegeben haben, die dem Trio beim Untertauchen halfen. Eine ganze Reihe von Unterstützungsleistungen skizzierten die Ermittler: So habe es Helfer bei der Besorgung von Waffen, Geburtsurkunden, gefälschten Pässen, Bahncards, bei der Anmietung von Autos, Wohnungen und von insgesamt 30 Wohnmobilen gegeben.
Offene Fragen: Unklar ist, warum es bei einer Durchsuchung einer Garage im Jahr 1998, bei der Waffen und Sprengstoff gefunden wurden, nicht zur Festnahme eines der Terrorverdächtigen kam. Auch wird gerätselt, wie die Behörden das Trio aus den Augen verlieren konnten, so dass es danach zehn Morde und 14 Banküberfälle verüben konnte. Darüber hinaus weiß man nicht, warum das Trio 2006 sein Verhalten änderte und die Mordserie plötzlich abriss. Und unklar ist zudem, wie viele Rechtsextreme überhaupt noch untergetaucht sind.

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