Mit stetigem Knochenschwund steigt rapide das Bruchrisiko

„Ich wollte nur einen Blumenkübel verrücken, da hörte ich schon etwas knacken und spürte diesen einschießenden Schmerz im Rücken“, erinnert sich die Rentnerin noch Jahre später.

 Spinal Fracture and traumatic vertebral injury medical concept as a human anatomy spinal column with a broken burst vertebra due to compression or other osteoporosis back disease.

Spinal Fracture and traumatic vertebral injury medical concept as a human anatomy spinal column with a broken burst vertebra due to compression or other osteoporosis back disease.

Foto: (93066454)

"Ich wollte nur einen Blumenkübel verrücken, da hörte ich schon etwas knacken und spürte diesen einschießenden Schmerz im Rücken", erinnert sich die Rentnerin noch Jahre später. Dass etwas gebrochen war, stand für die 70-Jährige rasch fast, doch zur Wirbelkörper-Kompressionsfraktur (WKF) gesellte sich eine Diagnose hinzu, die dem Bruch voranging und ihn auch begünstigt haben dürfte: Osteoporose.

Jede sechste bis siebte Frau im Alter von 50 Jahren und älter leidet an Osteoporose, ab dem 70. Lebensjahr ist sogar jede zweite betroffen. "Männer trifft es auch, allerdings etwa zehn bis 15 Jahre später", erläutert Dr. med. Andreas Junge, Chefarzt der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Trier. Bei der Osteoporose kommt es zu einem Verlust an Knochensubstanz mit der Folge, dass die Knochen porös werden und ihre Widerstandskraft gegen Belastungen verlieren. Da der Schwund schleichend und lange Zeit schmerzfrei vonstattengeht, bekommen die Betroffenen hiervon zunächst nichts mit. Erst wenn es zu einer Fraktur kommt, macht sich das Leiden deutlich bemerkbar.

Dass Frauen früher und obendrein häufiger betroffen sind, hängt vor allem mit der hormonellen Umstellung infolge der Wechseljahre zusammen. Menopause und fortschreitendes Lebensalter zählen zu den nicht beeinflussbaren Risikofaktoren. Allerdings lässt sich präventiv einiges unternehmen, um die Gefahr, an einer Osteoporose zu erkranken, zu senken. Dr. Junge empfiehlt ausreichend Bewegung und Kalziumaufnahme sowie den Verzicht auf ein Übermaß von Alkohol- und Kaffeekonsum. Aufs Rauchen sollte man aus vielen guten Gründen verzichten, doch wissen die wenigsten: Tabakkonsum geht auch auf die Knochen.

Vorbeugung sollte immer an erster Stelle stehen
Seit vielen Jahren sind diese Zusammenhänge bekannt. Mediziner appellieren deshalb immer wieder, dem nur scheinbar unvermeidlichen Substanzverlust frühzeitig entgegenzuwirken. "Vorbeugung sollte an erster Stelle stehen", sagt auch Dr. Junge und weiß doch: "Zu mir kommen die Patienten immer dann, wenn es eigentlich schon zu spät ist." Soll heißen: Viele Betroffene finden erstmals den Weg zum Arzt, wenn es schon zum Bruch gekommen ist; und selbst jene, die bereits zuvor aufgrund einer Fraktur behandelt wurden, können sich nicht darauf verlassen, dass der eigentlichen Ursache ihrer Fraktur auf den Grund gegangen wurde: "Diagnostik und Therapie der Osteoporose in Deutschland sind trotz aller Fortschritte der letzten Jahr immer noch unbefriedigend", beklagt der Chefarzt des Brüderkrankenhauses.

Das führt zu schmerzhaften Erfahrungen, wie sie die eingangs erwähnte Triererin machen musste. Obschon sie regelmäßig zu Haus- und Frauenarzt gegangen und längst jenseits der Menopause war, habe keiner der behandelnden Ärzte sie auf die Gefahr einer Osteoporose hingewiesen, berichtet die Seniorin. Auch eine Messung ihres Vitamin-D-Spiegels hatte niemand veranlasst. Dabei kann die Bestimmung dieses Werts einen ersten wichtigen Hinweis auf eine mögliche Erkrankung liefern. Da Vitamin D maßgeblich dafür sorgt, dass Kalzium vom Darm ins Blut aufgenommen und in die Knochen eingelagert werden kann, ist ein niedriger Wert ein Risikofaktor. Eine weitere Methode, frühzeitig einer Osteoporose auf die Spur zu kommen, ist die Knochendichtemessung - eine wenig aufwändige und strahlenfreie Untersuchung. Das Dilemma: Die Kosten für eine solche Messung übernimmt die Kasse erst, wenn es bereits einmal zum Bruch gekommen ist.

Das geschieht in Deutschland "en masse", weshalb Frakturen längst die Dimensionen eines Volksleidens angenommen haben: So erleiden jedes Jahr hunderttausende, überwiegend ältere Menschen eine Fraktur an Oberarmkopf, körperferner Speiche oder hüftnahem Oberschenkel. Allein mehr als 100.000 Schenkelhalsbrüche werden hierzulande jedes Jahr diagnostiziert. Hinzu kommen Wirbelfrakturen und solche des Beckens. Da Brüche bei jungen und gesunden Knochen leichter und schneller verheilen als bei älteren und obendrein porösen, ist die Behandlung deutlich langwieriger. Doch auch bei alten Menschen ist es das erklärte Ziel der Ärzte, die Bewegungs- und Schmerzfreiheit des Patienten möglichst rasch und vollständig wiederherzustellen.

Spezielle Implantate für poröse Knochen
Bei einer Wirbelsäulenkörper-Kompressionsfraktur kann dies mittels einer sogenannten Ballon-Kyphoplastie erreicht werden. Mit diesem Verfahren kann bei bis zu 95 Prozent der Patienten eine deutliche Schmerzreduktion erreicht werden, berichtet Junge; zudem wird mit dieser Methode die Wirbelkörperhöhe wiederhergestellt. Generell kann heute den meisten Betroffenen deutlich besser geholfen werden als noch vor einigen Jahren. So wurden inzwischen spezielle Implantate für die Behandlung von Brüchen infolge einer Osteoporose entwickelt, beispielsweise Schrauben, die auch in porösem Knochengewebe noch Halt finden.
Die Therapie und Nachbehandlung der und ihrer Folgen verlange immer auch eine enge Zusammenarbeit verschiedener medizinischer Disziplinen, sagt Dr. Junge und nennt beispielhaft Hausärzte, Internisten, Orthopäden, Gynäkologen und die Unfallchirurgie. Trotz aller Fortschritte macht sich der Chefarzt jedoch keine Illusionen, dass die Zahl der Erkrankten "dramatisch zunehmen" wird - allen voran aufgrund der demographischen Entwicklung. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko, dass sich eine Osteoporose entwickelt, rapide. "In Maßen" lasse sich der schleichende Knochenschwund zurückdrehen, so Junge, doch ist der Substanzverlust weit fortgeschritten, ist ein Bruch meist schon programmiert.

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