"Die Großeltern schwiegen, die Enkel reden"

Das Interesse an der Dokumentation über die Schicksale jüdischer Familien in Gerolstein ist ungebrochen: Das zweite Buch "Gegen das Vergessen" ist seit gestern im Handel. Die Buchvorstellung war mit 50 Zuhörern gut besucht. Die zeitgleiche Diskussion übers Verlegen von Stolpersteinen als dezentrale Gedenkstätten verlief sehr kontrovers.

Gerolstein. "Die Veranstaltung hat gezeigt, dass wir auch nach 70 Jahren noch Probleme mit unserer Vergangenheit haben. Wir sollten trotzdem im offenen Dialog miteinander bleiben", resümiert der Gerolsteiner Historiker Karl-Heinz Böffgen. Gemeinsam mit einem Redaktionsteam hatte er die zweite Auflage des Buches "Gegen das Vergessen" über Schicksale jüdischer Familien in Gerolstein erarbeitet und in der Buchhandlung Raabe vorgestellt. Er sagte: "Dieses Haus ist eng mit der Geschichte jüdischer Bürger in der Brunnenstadt verbunden. Nathan Levy errichtete es 1912 und betrieb darin ein Kaufhaus. Sein Schwiegersohn betrieb es, bis er gezwungen wurde, es zu verkaufen."

Insgesamt seien 15 der 107 jüdischen Bürger aus Gerolstein in Konzentrationslagern umgekommen. Für diese vom NS-Regime Ermordeten sollen vor den acht Häusern, in denen sie zuletzt lebten, "Stolpersteine" als dezentrale Gedenkstellen verlegt werden. Kosten für die Stadt entstehen keine, da Sponsoren gefunden wurden.

Markus Pflüger von der Trie-rer Arbeitsgemeinschaft (AG) Frieden berichtete über die Aktion in der Moselstadt. Danach brauchen die Initiatoren in Trier keine Zustimmung der Hauseigentümer, da die Stadt als Grundbesitzer der Bürgersteige ihre Zusage gegeben hat. Böffgen und Christa Karoli, Vorsitzende des Vereins Forum eine Welt, erklären unisono: "Wir werden in Gerolstein ohne die Zustimmung der betroffenen Hauseigentümer keinen Stolperstein verlegen."

Im Publikum (mit vielen Vertretern städtischer Gremien) war die Meinung gespalten. Peter Assion erklärte: "Vor mein Haus wird kein Stolperstein gesetzt. Ich persönlich kann ja nichts für das Schicksal der jüdischen Familie, die früher darin gewohnt hat." Eine Zuhörerin konterte: "Die Gerolsteiner Initiatoren sollten die persönlichen und fadenscheinigen Gründe der betroffenen Hausbesitzer nicht über das Gedenken an den grausigen Völkermord stellen." Ebenso sprach sich Norbert Leinung für die Vorgehensweise wie in Trier aus. Horst Lodde relativierte: "Assions Meinung muss respektiert werden. Konsens sollte gesucht werden."

Stadtbürgermeister Karl-Heinz Schwartz sagte: "Wir werden uns in den Gremien mit allen Aspekten beschäftigen. Ganz sachlich. Es wird nichts über die Köpfe der Hauseigentümer hinweg entschieden." Böffgen eröffnete weitere Möglichkeiten, wonach auch erst einmal vor zwei oder drei Häusern bei Zustimmung Stolpersteine verlegt werden könnten. Pflüger von der AG Frieden ergänzt: "Die Entwicklung braucht Zeit nach dem Motto: Die Großeltern schwiegen, die Enkel reden." Zuhörerin Heike Sassen (36 Jahre): "Die Stolpersteine haben ja nichts mit Schuldzuweisungen zu tun."

Das Buch "Gegen das Vergessen" ist für fünf Euro bei der Buchhandlung Raabe erhältlich. Info: www.forum1welt.de. Interessenten können am 21. September beim Verlegen von Stolpersteinen in Trier dabei sein. Kontakt: Markus Pflüger, 0651/9941017.

Meinung

Positive Signale

Es ist als positives Zeichen zu werten, dass erstens relativ viele Gäste zur Buchvorstellung über das dunkelste Kapitel auch in Gerolsteins Historie gekommen waren. Zweitens zeugt auch die Anwesenheit vieler Stadtratsmitglieder vom hohen politischen Interesse am Thema. Und das ist gut so. Doch selbst wenn die Mehrheit der Politiker und auch Bürger Gerolsteins von der Notwendigkeit überzeugt ist, mit Stolpersteinen an die jüdischen Mitbürger zu erinnern: Zunächst müssen die betroffenen Hauseigentümer Gehör finden. Und falls sie Bedenken artikulieren, sollte in ebenso ruhigen wie sachlichen Gesprächen versucht werden, sie zu überzeugen. Das Thema taugt weder für Eile noch für laute Töne. m.huebner@volksfreund.de

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