Ein leiser Abschied

Der letzte Guss ist schon eine ganze Weile her. Im Dezember 2002 hat Wolfgang Hausen-Mabilon, von 1954 bis 2000 Deutschlands einziger Glockengießer-Meister, in seinem traditionsreichen Familien-Unternehmen im Saarburger Staden die allerletzte Glocke gegossen.

Nach Lima in Peru ging das finale, 125 Kilo schwere Werk des damals 75-jährigen Saarburgers und seiner Mitarbeiter. "Die gegossene Glocke auf den Weg zu bringen, war immer so, wie wenn man ein Kind in die Welt schickt", erzählt Wolfgang Hausen-Mabilon.

An dieses letzte Mal erinnert sich der heute 80-Jährige, der jeden seiner Bronze-Glockengüsse geleitet hat, sehr genau: "Ich hatte ein komisches Gefühl im Magen. Das war ein innerliches Abschiednehmen. Aber man soll nicht arbeiten, bis man tot umfällt - irgendwann muss man loslassen."

Endgültig loslassen müssen er und seine 78-jährige Frau Marlis, die seit ihrer Hochzeit vor 50 Jahren stets mit im Betrieb gearbeitet hat, ihre Glockengießerei in diesen Tagen.

Ab 1. April wird der Verein "Lokales Bündnis für Familie in der Verbandsgemeinde Saarburg" - ein Netzwerk zahlreicher Partner aus dem Themenumfeld "Familie" - damit beginnen, an diesem Standort ein Mehrgenerationenhaus zu etablieren (der TV berichtete mehrfach). Eigentümer der Immobilie wird die Stadt Saarburg.

Das einzigartige Industriedenkmal, das nicht allein für die Stadt, sondern für die gesamte Region ein Alleinstellungsmerkmal ist, wird in seiner jetzigen Form erhalten, jedoch um einen Anbau erweitert.

Als Museum auf der einen Seite und sozio-kulturelle Begegnungsstätte und Veranstaltungsort auf der anderen Seite soll sich die Adresse im Laufe der nächsten Jahre entwickeln. Eine Lösung, mit der das Ehepaar sehr zufrieden ist: "Wenn man älter wird, muss man sich von vielem trennen. Deshalb ist es für uns beglückend, dass die Glockengießerei erhalten bleibt", sagt der kinderlose Senior. Zwei Firmen aus Norddeutschland hätten ihnen in den zurückliegenden Jahren Kauf-Angebote gemacht. "Die wollten aber nur das Grundstück haben, und es wäre mir unmöglich gewesen, unseren Betrieb zum Abbruch zu verkaufen", sagt Wolfgang Hausen-Mabilon.

In andere Zeiten versetzt fühlt sich, wer das Gelände dieses einzigartigen Handwerkbetriebs betritt. Dabei sieht es an vielen Stellen in dem roten Backsteingebäude von 1770 mit den eisengerahmten Glasscheiben und dem gepflasterten Innenhof so aus, als sei gerade das Schicht-Ende eingeläutet und nicht bereits vor Jahren die Produktion eingestellt worden. In der Schlosserei hängt jedes Werkzeug noch so, wie die Arbeiter die Halle am letzten Produktionstag verlassen haben. "Man sieht es mit Vergnügen, dass alles noch so ist wie am letzten Tag", sagt Hausen-Mabilon. Die Maschinen stehen als stumme Zeugen an ihrem gewohnten Platz.

In der großen Gießhalle gehen Besucher über die Gießgruben, vorbei am Flammofen und anderen für die Produktion notwendigen Gerätschaften. Den Innenhof zieren verschieden große Glocken und ein Bataillon von an die Wand gelehnten Klöppeln. Im Verkaufsraum nebenan glänzen unzählige, blank geputzte Glöckchen und Glocken hinter Glas hervor.

Durchnummerierte und mit Jahreszahlen versehene Ordner mit der Aufschrift "Glocken-Lieferungen" füllen Rücken an Rücken mehrere Regalreihen im Büro und vermitteln einen Eindruck davon, wie gefragt die Handwerkskunst aus Saarburg über Jahrhunderte hinweg war. "Wo wohnen Sie, und welche Kirchenglocken hören Sie?", lautet eine häufig gestellte Frage des Ehepaars Hausen-Mabilon an Besucher der Glockengießerei.

Dabei steht der Kommentar der beiden bei schätzungsweise 98 von 100 Antworten ohnehin fest: "Dann hören Sie eine Glocke von uns." Kein Wunder: "An die 5000 Glocken haben wir gegossen", erzählt der Saarburger - und sie in die ganze Welt geliefert.

Selbst äußerst reiselustige Menschen werden nicht annähernd so viele Fähnchen auf der Weltkarte einstecken können wie die Mabilons durch ihre Exporte. In Ecuador, Neu-Guinea, Costa Rica, Tansania und unzähligen weiteren Ländern dieser Erde erklingen die Mabilonschen Glocken.

Dabei hat der Handwerks-Betrieb, den Urbanus Mabillon 1770 im Saarburger Staden aufbaute und den Wolfgang Hausen-Mabilon ab 1947 führte, nie Werbung betrieben.

"Das ist äußerste Präzisionsarbeit"

"Mein Vater hat immer gesagt: ,Jede Lieferung ist eine Empfehlung.'"

Gute Qualität und pünktliche Lieferung hätten die Basis für eine stets gute Auftragslage gebildet. Unverzichtbar für das aufwändige Prozedere des Herstellens der Glockenform und des anschließenden Gusses sind nach Mabilon vor allem diese Faktoren: "Das ist äußerste Präzisionsarbeit, und die muss mit Ruhe und absoluter Sorgfalt erledigt werden."

Jede Glocke wurde nach einem alten Familiengeheimnis auf einen Sechzehntel-Halbton von ihm berechnet.

"Wenn ich bei der Berechnung einen Fehler mache, können die Mitarbeiter so gut schaffen, wie sie wollen", erläutert der Glockengießer - noch ganz in die Materie versunken.

"Das absolute Gehör hatte ich zwar nicht - das braucht man auch nicht unbedingt." Stattdessen müsse ein guter Glockengießer rechnen, zeichnen, planen und organisieren können - und: "Er muss eine Führungs-Natur haben."

Mit Autorität und einem starken Zusammengehörigkeits-Gefühl haben er und seine Frau mit den bis zu 16 langjährigen Mitarbeitern in der Gießerei, Schlosserei und Schreinerei gemeinsam gearbeitet - mit allem, was für die Mabilons dazugehörte. Nach jedem Guss, der nur freitags stattfand und bei dem die Bevölkerung zuschauen durfte, wurde die erfolgreiche Zusammenarbeit belohnt: "Nach dem gemeinsamen Gebet haben wir Feierabend gemacht und alle zusammen bei Würstchen und Kartoffelsalat gesessen", erzählt Marlis Hausen-Mabilon. "Das war ein Team. So etwas gibt es heute nicht mehr." Susanne Windfuhr

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