Übergriffe Probleme im Trierer Waldorfkindergarten: „Unser Kind hatte immer größere Angst“

Trier · Übergriffe und ausartende Doktorspiele: In einer der sechs Gruppen des Trierer Waldorfkindergartens gab es jahrelang heftige Probleme. Der Träger hat sich inzwischen von zwei Erzieherinnen getrennt.

  Isoliert und ausgegrenzt: Dieses Bild einer Handpuppe symbolisiert die Gefühle, wie sie Simon geplagt haben.

Isoliert und ausgegrenzt: Dieses Bild einer Handpuppe symbolisiert die Gefühle, wie sie Simon geplagt haben.

Foto: picture alliance / Nicolas Armer/Nicolas Armer

Die Form von Waldorf-Gebäuden wie der Kita in Trier-Heiligkreuz vermittelt Geborgenheit. Auf dem großzügigen Gelände oberhalb der Dächer der Stadt sollen nur wenige Ecken und Kanten die Harmonie des Äußeren stören. Wie die Stimmung in den Räumen ist, bleibt manchmal selbst Eltern verborgen, die für ihre Kinder einen der begehrten Plätze in einer der sechs Gruppen bekommen haben.

  Dass sie das Beste für ihren Sohn tun würden, war auch die Überzeugung von Katrin und Georg F.*. Zunächst sei auch alles in Ordnung gewesen, erzählen sie. Auch der Wechsel in die Bärengruppe* war kein Problem. „Wir wussten, dass dort der Ton rauer war und Kinder auch mal vor die Tür geschickt wurden, aber wir dachten, etwas mehr Struktur ist für Simon* gar nicht so schlecht.“

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Sechs Monate später machte der Sechsjährige wieder regelmäßig in die Hose. „Uns wurde von der Gruppenleiterin gesagt, dass unser Kind auffällig ist.“ In enger Absprache mit der Erzieherin X. stellten die Eltern ihr Kind beim Zentrum für Sozialpädiatrie und Frühförderung (SPZ) vor, initiierten Ergotherapie und Heilpädagogik. „Im August 2017 haben wir der Kita eine Diagnose sowie daraus resultierende Handlungsempfehlungen für die Erzieherinnen mitgeteilt.“ Doch statt der erhofften Besserung eskalierte die Situation. „Wir haben sehr viel für unser Kind getan, der Kindergarten gar nichts“, sagt die bitter enttäuschte Katrin F. heute. Das bereits geringe Selbstwertgefühl von Simon nahm immer mehr ab. „Ich bin böse, ich kann nichts. Das haben wir immer häufiger von ihm gehört. Und natürlich hat uns das schockiert.“ Im Gespräch mit der Kindeswohlgruppe, in der Eltern und Erzieherinnen gemeinsam bei Bedarf über Probleme reden, wurde positiv über den Jungen gesprochen. „Es wurde aber zunehmend klar, dass die gesamte Bärengruppe ein Problem hat.“

Wie groß dieses Problem war und wie lange es bereits hinter vorgehaltener Hand existierte, könnte Klaus Heitner* erzählen. Er war es, der im vergangenen April die Leitung des Waldorfkindergartens übernahm und den inzwischen massiven Beschwerden der Familie F. Glauben schenkte. Denn spätestens als Katrin F. ihren Sohn Ende Januar mit dem nassem Tuch am Hals abholen musste, war ihr klar, dass die beiden Erzieherinnen der Bärengruppe weit davon entfernt waren, Simon mit der angemessenen pädagogischen Kompetenz zu behandeln. Der Junge war zur Maßregelung in den Sozialraum der Erzieherinnen gesperrt worden und hatte dort vermutlich vor Frust und Zorn eine Wasserflasche vom Tisch gefegt. Mit dem Schlauchhalstuch des Jungen hatte die Gruppenleiterin daraufhin das Wasser vom Boden gewischt und es ihm  wieder über den Kopf gezogen.

„Ich unterliege als ehemaliger Angestellter einer Schweigepflicht zu den Dingen, die damals passiert sind“, bedauert Ex-Kita-Leiter Heitner zehn Monate später auf Anfrage des Trierischen Volksfreunds. Unserer Zeitung liegen allerdings Dokumente und Mails vor, die sein konsequentes Handeln belegen. Denn im Mai 2018 arbeitete auf seine Initiative hin keine der beiden langjährigen Erzieherinnen der Bärengruppe mehr in der Einrichtung. Bevor allerdings weitere mögliche Versäumnisse und Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre aufgearbeitet werden konnten, sprach die Mehrheit der verbliebenen Erzieherinnen Heitner in einem geharnischten Brief ihr Misstrauen aus, woraufhin dieser sich im Kreis Trier-Saarburg eine neue Stelle suchte.

Weil sich aber auch der Trägerverein der Einrichtung trotz mehrfacher Anfragen unserer Zeitung weitgehend in Schweigen hüllt, bleibt im Dunkeln, warum es nach der lediglich intern bekanntgewordenen Doktorspiel-Affäre im Jahr 2014 zwar Beratungsgespräche mit Pro Familia und Merkzettel mit dem Hinweis gegeben hat, dass Kinder keine Gegenstände in Körperöffnungen stecken dürfen. An der „Zusammenarbeit“ der beiden Erzieherinnen, in deren Gruppe das Problem verstärkt aufgetaucht war, änderte sich allerdings nichts.

„Ich bin aus allen Wolken gefallen, als ich nun davon gehört habe, dass es nicht einmal drei Jahre später wieder zu solchen sexuellen Übergriffen unter den Kindern gekommen ist“, sagt eine Mutter, deren Kind vor vier Jahren in der Kita betreut wurde.

Kurt Graser* ist der Vater eines Kindes, das die Situation im Winter 2016/2017 in der Bärengruppe offensichtlich ebenfalls nicht verkraftet hat. „Unser Kind hat immer häufiger Angst geäußert, mit Sprachstörungen, Fieber und Einnässen reagiert. Als wir die Erzieherinnen darauf angesprochen haben, sind die ausgetickt.“ In den Ferien sei das Verhalten des Kindes schnell wieder ganz normal geworden. Erst nach erheblichem Druck sei ihm erlaubt worden, in eine andere Gruppe der Kita zu wechseln. „Die Sprachprobleme waren nach sechs Wochen wieder so gut wie weg“, sagt Graser. „Das Problem ist die Bärengruppe und nicht die Einrichtung insgesamt.“

Dass der Waldorfkindergarten trotz der Klagen der Eltern als Institution nicht infrage gestellt wird, ist aus dem Trierer Rathaus zu hören. Für den Trägerverein ist das eine gute Nachricht. Denn der Personalkostenzuschuss von 502 000 Euro, den die Stadt jährlich als Trägeranteil für zwei der sechs Gruppen überweist, steht nicht zur Disposition.

Simon besucht inzwischen eine Regelschule. Nach Angaben seiner Eltern befindet er sich wegen des Verdachts auf ein Trauma in psychologischer Behandlung.

*Alle Namen wurden mit Blick auf den Daten- und Persönlichkeitsschutz verändert.

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