Abenteuer Weinberg: So viel Arbeit steckt in einer Flasche Moselriesling

Traben-Trarbach · Für die Erfahrung, wie viel Arbeit in einer Flasche Moselriesling steckt, begeben sich Weinfreunde in die Steillage Das Weinglas ist halb gefüllt, da wird es mit einem prüfenden Blick gegen das Licht gehalten. Klar und fast golden weist sich die Königin der Weißweinsorten als Steillagen-Riesling von der Mosel aus.

 Arbeit auf dem Weinberg.

Arbeit auf dem Weinberg.

Foto: DWI

Nun soll er atmen, der Kabinett feinherb. Vier Freunde schwenken den Trarbacher Schlossberg. Dann riechen sie sein Bukett fruchtiger Aromen, schlürfen, kauen und genießen. Es soll ein weinseliger Abend werden und noch einer, bis Norbert Ernst aus Basel sagt, jetzt wolle er doch mal wissen, wo und wie das wächst, was er hier trinke.

So wie dem Schweizer geht es vielen Weinfreunden, die an die Mosel kommen. Erst einmal ist da der edle Tropfen mit der typischen Aromenvielfalt der Devonschieferböden aus den Terrassenlagen. "2000 saßen wir in einer Vinothek in Trier und verkosteten eine Selektion vom Weingut Schmitz", erzählt Angela Krause. Heute gehört die Hannoveranerin mindestens drei Tage lang zur festen Weinlesetruppe des Rioler Römerhofs. Dafür nimmt sie sich Urlaub. "Ich wollte einfach mal ausprobieren, wie hart die Arbeit im Weinberg wirklich ist", erinnert sich die Außendienstmitarbeiterin einer Druckerei an die Anfänge vor neun Jahren. "Und die ist hart, also wirklich sehr hart." Dass der Rücken wehtut und man mit den Schieferplatten schon mal drei Meter in die Tiefe rutschen kann, nimmt die Städterin trotzdem gerne in Kauf. "Man entwickelt ein ganz anderes Gefühl zum Wein", sagt sie. "Für eine Flasche Riesling sind fünf Euro jedenfalls nicht zu viel, ganz im Gegenteil." Und dann sei da ja auch das Unbezahlbare. "Wenn man ganz in der Früh im Weinberg steht und die Sonne steigt langsam auf und ich schaue in den Nebel - das beruhigt mich unheimlich."

Entspannung, Ruhe, Eins-Werden mit der Natur, das sind Schlagworte, die die Tourismusbranche hellhörig werden lässt. Während die Mosellandtouristik keine gesteigerte Nachfrage nach Aktiv-Urlaub im Weinberg vermelden kann, bieten Weingüter immer häufiger die Möglichkeit an, in die Weinbergsarbeit zu schnuppern. "Die meisten fragen erst mal ganz vorsichtig an, ob sie eine Stunde mitgehen können", sagt Marie-Theres Heß aus Bruttig-Fankel. Es ist ja auch gar nicht so einfach, als Laie den Unterschied zwischen weißer Edelfäule an den Trauben zu erkennen, die man lesen soll, und Sauerfäule, die eine ganze Ernte verderben könnte. Als Grundregel gibt der Hausherr den mutigen Erstlingserntern mit: "Was ihr gerne essen würdet, dürft ihr schneiden."

Wer sich erst einmal mit den Bedingungen in Steillagen vertraut machen will, wandert den Erlebnisweg Moselkrampen, hangelt sich über den Klettersteig Calmont oder balanciert auf dem Römersteig über Piesport. Ist die Vorraussetzung der Schwindelfreiheit erfüllt, geht's an die Feintarierung. Ideal wäre es, das hiesige Moselfränkisch zu beherrschen. Am Weinberg wird immer "palavert". "Ich mag es, wenn die sich alle bei der Arbeit unterhalten", sagt Angela Krause. Welcher Bürojob bietet heute noch die Möglichkeit, wäh­rend der eigentlichen Tätigkeit über Gott und die Welt zu reden?! "Das Problem ist, ich verstehe es kaum, weil die hier Platt sprechen", gibt die Norddeutsche zu. Aber einer entspannten Stimmung tut das keinen Abbruch. Ganz im Gegenteil, es transportiert die Ursprünglichkeit, die viele Städter in den Weinbergen suchen.

"Ich habe immer öfter Anfragen, vor allem von Akademikern, die gerne mal in die Weinlese gehen würden", berichtet Franz-Peter Schmitz vom Römerhof. Das seien Notare, Anwälte, Piloten und Ärzte, die wieder etwas Urtümliches erleben wollten - unter dem Motto "back to the roots", in diesem Fall, zurück zum Rebstock, der seine Wurzeln bis sieben Meter tief in die Erde treibt. Besonders guten Kunden tut der Winzer den Gefallen und nimmt sie ein, zwei Tage mit. Für den Fachmann bedeutet das, im Ablauf aufgehalten zu werden. Romantische Vorstellungen kollidieren mit realer Knochenarbeit. "Ich hab' mal einen Engländer dabei gehabt", erinnert sich der Rioler, "der war so verträumt, ein Philosoph, mit drei Fotoapparaten um den Hals". Erntete hier ein paar Träubchen, bannte Riesling und Spätburgunder auf Digitalbilder und naschte sich durch den Tag. So einer käme schon mit den rund 200 Arbeitsstunden auf einem Hektar Flachlage nicht klar, geschweige denn mit den jährlich rund 1800 Arbeitsstunden in Steilstlagen. Von der Romantik allein bekomme man keine Butter aufs Brot, resümieren die Steillagen-Winzer. Romantische Gefühle dagegen steigen im Hobby-Lesehelfer auf, wenn Butterbrot und Weinbergspfirsichmarmelade auf die Wingertsmauer kommen. "Das schönste an der Weinlese ist das Mittagessen", sagen die Gäste unisono. Mit Stolz aber erfüllt sie der Moment, wo die Flasche Wein als Lohn auf dem Tisch steht, an dessen Lese sie beteiligt waren.

Rebensaft vom eigenen Weinstock bekommen auch Rebpaten. Hendrik und Petra Große-Venhaus aus Borken haben gerade eine zweijährige Rebpatenschaft an der von der Sonne verwöhnten Terrassenmosel abgeschlossen. Fünfzehn verschiedene Arbeitsgänge im Jahr können sie an ihrer Riesling-Weinrebe leisten, müssen sie aber nicht. Zwei mal zwei Flaschen aus dem Weinberg ihrer Patenrebe sind ihnen bis 2012 sicher. Dividende in Flaschen erhalten Aktionäre eines Weinbergs in Zell. Ziel solcher Aktionen ist es, neben der Absatzförderung, Weinfreunde für die alte Kulturlandschaft der Mosel mit ihren steilen Rebflächen zu gewinnen. Denn auch wenn prominente Moselweinbergs-Aktionäre wie Udo Jürgens, "Kanzemer Weingut von Othegraven"-Besitzer Günther Jauch oder der saarländische Ministerpräsident Peter Müller mit seinem Weinberg in Leiwen in die Schlagzeilen kommen, bräuchte es mehr als das Engagement einiger Seiteneinsteiger. Diplom-Ingenieure und Sozialpädagogen aus Berlin, Bankkaufleute aus Bayern, Industriemeister aus Sachsen sind Vertreter eines neuen Personenkreises, der weder aus Weinbaufamilien noch der Weinregion selbst stammt und sich doch Steillagenparzellen an der Mosel gepachtet oder gekauft hat.

Von einem Boom will Ansgar Schmitz des Moselwein-Vereins nicht sprechen. Sicher aber gebe es einen Trend zur Authentizität: "Die Leute wollen wissen, wo das Produkt herkommt, wie und von wem der Wein erzeugt wird." Im Angesicht anhaltender Lebensmittelskandale finde in Kreisen der sogenannten Lohas (Lifestyle of Health and Susta­ninability), also Konsumenten, die auf einen gesunden und auf Nachhaltigkeit ausgelegten Lebensstil achten, ein bewusster Umgang mit Lebensmitteln statt. Da werde Wert auf Herkunft und nachhaltige Erzeugung gelegt.
Führt man sich vor Augen, in welchem geologischen Paradies der Moselwein wächst, kann man die Kenner, die "Moselwein irre gut finden", verstehen. "Das ist hier ja über Millionen Jahre versteinerter Meerestonschlamm, auf dem die Weinreben wachsen", erklärt Franz-Peter Schmitz. Wo der Stein weich war, bohrte sich das Wasser seinen Weg. Stehen blieben die Schieferhänge. Diese haben hat das Moseltal geformt. "Da kann man sich vorstellen, dass die Flachlagen mit ihrem Schwemmsand nicht die Mineralität des Tonschiefers in den Steillagen besitzen", sagt der überzeugte Moselwinzer. Die Großväter hätten gewusst, warum sie die felsigen Hänge bevorzugten. Die Generation der Enkel scheint es auch wieder zu wissen. Um nicht aus purem Idealismus zu wirtschaften, suchen die gut ausgebildeten Weiningenieure nach neuen Wegen der Steillagenbewirtschaftung. Derzeit wird im Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Mosel an Prototypen zur Mechanisierung in der Steillage geforscht.

Jürgen Moog bleibt bei seiner Einzelpfahlerziehung. Er ist Lehrer im Hauptberuf und Winzer aus Passion. Beim Rebschnitt nimmt der Trabener, der aus einem Winzerbetrieb stammt, nicht so gerne Leute mit. Norbert Ernst, der sich das Gewächs, von dessen Früchten gesellige Abendrunden zehren, jetzt auf dem Schlossberg anschaut, versteht den Profi: "Wenn ich das Falsche abschneide, war's das für ein Jahr." Dann bewundert er die "effektive Beiläufigkeit", mit der Jürgen Moog die Geiztriebe im Vorbeigehen ausbricht. "Wenn ich durch den Weinberg laufe, bin ich mit Gleichgewichthalten beschäftigt", sagt der Städter. Im Schlossberg ist es so steil, dass die nächste Rebenreihe auf Kopfhöhe steht, wenn man eine Etage tiefer einen festen Stand gefunden hat. In solchen Lagen gibt es keine Drahtspaliere. Eine Tragrebe wird rechts nach unten an den Pfahl gebunden, eine links. Es entsteht die typische Herzform. Dann muss beschnitten, ausgebrochen und gegipfelt werden.

So nennt der Winzer das Abschneiden der Triebspitzen, die über den Pfahl hinauswachsen. Das ist ja wie in meiner Arbeit, kommt es dem Sozialpädagogen in den Sinn. Wo über die Stränge geschlagen wird, muss man Einhalt gebieten. "Du machst Einzelpfahlerziehung und ich Einzelfallerziehung!" Spricht's und sieht sich schon bei der Weinlese im Wingert. Am besten noch diesen Herbst.

Wer es sich zutraut, bei der Weinlese in Steillagen mitzugehen, fragt beim Winzer seines Vertrauens nach. Man sollte trittsicher sein und keine romantischen Vorstellungen haben. Ein Arbeitstag in der Weinlese beginnt früh morgens bei oft noch tiefen Temperaturen und findet bei jedem Wetter statt.

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