Abtauchen mit Staubsauger

Der Staubsauger kommt. Und was für ein Staubsauger. Tonnenweise Schlamm pumpt der auf einem Schiff montierte Saugrüssel nach oben. Vier Meter dick ist die Schlammschicht, die einiges an Kostbarkeiten in ihrem Griff hält. 30 Millionen Pfund Stirling, umgerechnet über 40 Millionen Euro, soll der Schatz wert sein, der gerade vor der Ostküste Englands geborgen wird. Und mittendrin ein Trierer.

Jörg Rosswinkel taucht seit dem Jahr 1978, zu Zeiten, als er noch bei der rheinland-pfälzischen Polizei arbeitete. 1998 hatte der heute 45-Jährige die Nase voll und machte sein Hobby Tauchen zum Beruf. Und heute taucht er wieder ab, taucht von einem Schnellboot ins eiskalte Wasser der Nordsee. Taucht ohne Sicht, taucht in den Schlamm. "Man sieht die Hand vor Augen nicht, man muss alles ertasten", sagt Rosswinkel über sein derzeitiges Objekt der Begierde. "Royal James" heißt das Schiff, das er gemeinsam mit einer britischen Expeditions- und Investorengruppe im November 2007 geortet hat.

106 Kanonen und das Hab und Gut des Earl of Sandwich

325 Jahre zuvor war die "Royal James" gesunken, in der berühmten Schlacht von Solebay. Fast 100 Schiffe, 5500 Kanonen und 24 000 Mann Besatzung - Niederländer gegen die Allianz aus Frankreich und England - standen sich ab dem 28. Mai 1672 gegenüber im so genannten dritten Englisch-Niederländischen Krieg. Es ging um eine Seeblockade gegen niederländische Häfen - und die Allianz war schnell zerbrochen, als die Franzosen die zahlenmäßige Übermacht der Niederländer erkannten und abzogen. Also mussten sich die Briten alleine helfen - allen voran ihr größtes, schwerstes und modernstes Kriegsschiff, die "Royal James" mit über 800 Mann Besatzung und 106 bronzenen Kanonen. Wahrlich tapfer wehrte sich dessen Kapitän, der erste Earl of Sandwich - vierter Vorfahre des Erfinders der gleichnamigen Mahlzeit - gegen die Niederländer. "Niemals aufgeben" lautete die Devise, und der Earl gab alles, am Ende einigte man sich auf ein "taktisches Unentschieden". Doch dies erlebte Sandwich nicht mehr. Ein niederländisches Schiff hatte seine "Royal James" in Brand geschossen. Als das Schiff zu sinken begann, rettet sich der Earl auf ein kleines Beiboot - und wurde dort von Matrosen, die sich ebenfalls retten wollten, erdrückt und ertrinkt schließlich. In den Fluten von Solebay liegt sein ganzes Hab und Gut begraben, sein Körper tauchte irgendwann auf.

Über 25 Jahren suchten Taucher aus aller Welt nach dem Wrack der "Royal James", jetzt wird ihr Schatz geborgen, darunter alles Hab und Gut des Earl of Sandwich. "Meine erste Aufgabe war, mit Metalldetektoren nach unten zu tauchen, und dann die genaue Position des Schiffes zu ermitteln", sagt Jörg Rosswinkel, der sich eigentlich lieber in wärmeren Gewässern aufhält. 1998 wanderte der Trierer auf die kapverdischen Inseln aus. Auf Boavista machte sich Rosswinkel als Taucher selbstständig. Er organisiert touristische Tauchgänge, spezialisierte sich aber bald auch aufs Tauchen nach historischen Schiffswracks. Und so lernte er den Engländer George Spence kennen, der seit 1984 nach der verschollenen "Royal James" sucht. "Eigentlich sollte ich zwei Wochen aushelfen, aus zwei Wochen wurden bislang drei Monate", sagt Rosswinkel. Täglich maximal 90 Minuten taucht er auf 24 Meter Tiefe herab, je nach Wetter und Wind auch weniger. "Länger geht das nicht", sagt der Trierer. Erst mit modernsten Suchverfahren und nach Auswertung aller Informationen aus dem Jahre 1682 - aber auch dank Rosswinkels Arbeit mit dem Metalldetektor - wurde man fündig. An Bord befinden sich nicht nur die 106 Kanonen (Wert jeweils 40 000 Euro) und die persönlichen Habseligkeiten des Earl, sondern auch die wertvolle Schiffsglocke und vieles mehr. Rosswinkel ist nicht nur Taucher, sondern als Mitinvestor auch an den Einnahmen beteiligt. Seine 16 000 Euro, die er vergangene Woche als Gewinner bei "Wer wird Millionär?" gewann, investierte er gleich wieder in die Bergungsarbeiten - damit wurde für vier Tage das Schiff bezahlt, auf dem der Sauger sowie ein Kran zum Heben der Kanonen installiert ist. "Ich denke, alle Investoren werden am Ende auch verdienen", sagt der Trierer. Rechtlich gesehen geht alles erst einmal an den Eigentümer, da es diesen nicht mehr gibt, an ein Museum, das die Finder aber fürstlich entlohnen wird.

Obwohl das Wetter an der englischen Ostküste - im Gegensatz zum eiskalten und stürmischen Winter- wieder besser wird, freut sich Rosswinkel auf wärmere Gefilde. "Die Kapverden sind das schönste Tauchrevier der Welt", sagt der auf vielen Weltmeeren erfahrene Taucher. Und vor den Inseln ist der Trierer auch fotografisch unterwegs: "400 Gigabyte mit Tauchbildern habe ich im Archiv." Aber bevor es - nach der kompletten Bergung der "Royal James" - in den Atlantik geht, macht er erst einmal Heimaturlaub in Deutschland. "Freunde und Familie treffen, die sieht man so selten. Den Kontakt zu meinen Eltern in Trier halte ich intensiv", meint er. Und bald geht es wieder auf die geliebten Kapverden, wo er auf einer touristisch noch nicht so erschlossenen Insel lebt. Dort will er eine Tauschschule aufbauen. Es sei denn, zwischendurch kommt wieder ein Auftrag mit einem Staubsauger. Björn Pazen

Mehr zur Bergung der "Royal James" unter www.historicwreck.com

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