Archi Alert: "Die Punk-Szene ist schon ganz schön kaputt"

Wer dieser Tage an Terrorgruppe denkt, hat leider nicht zuallererst die gleichnamige Deutschpunk-Formation im Kopf. Frontmann Archi Alert erklärt im Interview, dass es ihn deswegen sogar nervt, seine eigene Band zu googeln.

Archi Alert: "Die Punk-Szene ist schon ganz schön kaputt"
Foto: Philipp Virus

Die Terrorgruppe meldet sich mit ihrem neuen Album "Tiergarten" zurück. Ob die Deutschpunk-Band um Frontmann Archi Alert, auch bekannt unter seinem Pseudonym Archi "MC" Motherfucker, ihren gewohnten Aggropop aus den 90er-Jahren zum Besten gibt, oder ob sie dieses Mal komplett neue Klänge im Gepäck haben, verrät der gebürtige Augsburger im Interview mit spot on news. Außerdem sagt er seine Meinung zum Zustand des Deutschpunks. Die fällt alles andere als positiv aus...

Archi, wann hast Du denn zum letzten Mal die Terrorgruppe gegoogelt?

Archi Alert: Ich muss gestehen, das ist recht lange her. Früher öfter, aber seit unserem Comeback vor ein paar Jahren eigentlich nicht mehr. Warum?

Man findet euch sehr schwer, weil das Internet voll mit Berichten über echte Terrorgruppen ist...

Alert: Ach so, ja ich weiß, und das nervt total. Dank ISIS und Co. haben wir gerade keine Chance. Ich glaube, wir sollten die verklagen, wie wir es 2001 schon mal mit Bin Laden gemacht haben, weil der unseren schönen Bandnamen diskreditiert hat.

Machst du dir über echte Terrorgruppen Gedanken? Was hast du dir bei den Anschlägen in Paris auf das Konzert der Eagles of Death Metal gedacht?

Alert: Ich bin ja parallel auch Tournee-Leiter von K.I.Z. Wenige Tage später sind wir nach Hannover und dort war gerade die erhöhte Gefahren-Lage. Helge Schneider hatte sein Konzert abgesagt, die Söhne Mannheims haben gespielt.

Und ihr?

Alert: Wir haben auch überlegt, ob wir nicht absagen sollten, haben uns dann aber dazu entschlossen, es durchzuziehen. Es hatte uns auch keiner angesprochen, weder von der Polizei, noch vom Verfassungsschutz oder BND oder sonst was. Ich hab das Thema zwangsweise ziemlich aufmerksam verfolgt.

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Bist du ein ängstlicher Mensch?

Alert: Man macht sich schon Sorgen und es ist ein ungutes Gefühl dabei, klar. Ich schiebe eigentlich solche Themen sonst eher von mir weg. Ich glaube aber, es war einfach Pech, dass gerade ein Rock-Konzert Anschlagsziel war.

Jetzt kommt euer neues Album auf den Markt, das zweite nach der Wiedergründung 2013. Kann man wieder auf klassischen Punkrock Marke Terrorgruppe hoffen?

Alert: Ja, auf jeden Fall. Wobei wir bei dem Album wieder ein bisschen mehr zu unseren Wurzeln zurückgekehrt sind.

Die wären?

Alert: Johnny Bottrop (Gitarrist und Mitgründer der Terrorgruppe, Anm. d. Red.) und ich sind beide in den 70ern großgeworden und haben die ganze Phase, die zu Punk geführt hat, als Kiddies miterlebt. Da liegen unsere kulturellen Wurzeln.

Was sind deine Einflüsse?

Alert: Das geht los vom klassischen Garagen-Punk über die CBGB-Bands aus New York bis hin zu den großen englischen Punk-Bands wie die Sex Pistols, The Clash oder auch The Stranglers.

Die allermeisten eurer Songs haben einen gesellschaftlichen oder auch politischen Aufhänger und geben ein Statement ab. Wie wichtig ist das für dich?

Alert: Sehr sogar, vor allem der sozialkritische Ansatz: Wie leben wir eigentlich, wie wird das alles organisiert. Die klassische Kapitalismuskritik spielt dabei eine große Rolle.

In eurer Singleauskopplung "Wie es der Staat mag" prangerst Du ein genormtes Leben an. Erklär mir doch mal den Hintergedanken...

Alert: In dem Song wird die grundsätzliche Frage gestellt, wie könnte man sich im großen Falschen richtig verhalten. Viele denken, sie würden wahnsinnig alternativ leben, spielen aber eigentlich nur das Spiel mit und dem Staat damit in die Hände.

Glaubst du, dass der Staat dieses normative Verhalten der Menschen bewusst steuert?

Alter: Nein, das nicht. Aber er setzt schon ein bisschen auf den Herdentrieb jedes Einzelnen.

Du glaubst also nicht, dass unsichtbare Mächte alle Fäden in der Hand halten?

Alert: Nein, auf gar keinen Fall. Den Quatsch will ich mir auch gar nicht reinziehen.

Die sozialen Netzwerke sind voll von solchen Verschwörungstheorien, gerade auch im linken Sektor.

Alert: Ja, das bekomme ich auch mit, aber es interessiert mich nicht. Solche Spinner gab es im Übrigen schon immer, die sind jetzt nur irgendwie lauter als früher. Was ich mir schon in meinem Freundeskreis alles für abstruse Theorien über 9/11 oder sonst was anhören musste...

Zurück zur Musik: Wie siehst du die Situation in Deutschland? Die Ärzte sind längst im Pop-Genre angekommen, von den Toten Hosen ganz zu schweigen. Wie tot ist der Deutsch-Punk?

Alert: Der ist hier genauso tot, wie in allen anderen Ländern auch. Das hat damit zu tun, dass es diese Sub-Kultur schon 40 Jahre lang gibt und dadurch wird sie Schritt für Schritt sehr konservativ. Das ist das Schlimmste, was dem Genre passieren konnte.

Und die neuen Punk-Bands aus Deutschland?

Alert: Die interessieren mich alle grundsätzlich erstmal gar nicht. Ich kann mir das auch kaum anhören: Inhaltlich find ich es oft bieder und nicht einfallsreich. Natürlich ist es toll, gegen Nazis zu sein, aber immer denselben Text darüber zu schreiben ist dann vielleicht auch irgendwann mal langweilig.

Es gibt aber auch recht erfolgreiche Bands wie zum Beispiel ZSK...

Alert: Die haben sicherlich eine Daseinsberechtigung, sind mir aber zu marktschreierisch und rein politisch. Für mich hat Punk immer auch die Zutaten Nihilismus, Ironie und Sarkasmus mit im Gepäck. Ich muss gestehen: Die Punk-Szene ist schon ganz schön kaputt.

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