Armut hat ein Kindergesicht

TRIER. Arme Kinder in einem reichen Land: Das ist ein Thema, dass den Pädagogen täglich in Kitas und Schulen begegnet. Auch in der Region Trier.

"Armut gehört schon längst zur Kindheit und zum Alltag von Kindern in Deutschland", sagt Gerda Holz vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt. Seit etlichen Jahren beschäftigt sie sich mit dem Thema Kinderarmut in Deutschland und war eine der Referentinnen des Fachforums des Caritasverbandes der Diözese Trier, zu dem 180 Teilnehmerinnen ins Robert-Schumann-Haus in Trier gekommen waren. Jedes siebte Kind unter 15 Jahren lebt von Sozialgeld. "Armut ist kein individuelles Versagen, sondern ein gesellschaftliches Problem", betonte Gerda Holz. Damit stelle sich dieses gesellschaftliche Phänomen auch für jede Kindertagesstätte, die natürlich darauf reagieren müsse.Armut ist nicht immer gleich arm

Entscheidend für die Definition von Armut sei, dass die Standards unserer Gesellschaft als Messlatte angewendet würden. "Armut in Deutschland kann nicht mit Armut in der ,Dritten Welt' gleichgesetzt werden." Laut Holz ist die Grundlage zur Messung die geltende EU-Definition, nach der ein Haushalt dann als arm gilt, wenn ihm weniger als 50 beziehungsweise 60 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsnettoeinkommens zur Verfügung steht, das im Bundesdurchschnitt bei etwa 2200 Euro liegt. Doch Armut sei mehr als nur Einkommensarmut. "Sie stellt eine sehr komplexe, benachteiligende und sozial ausgrenzende Lebenssituation dar", sagte die Expertin. Armut hinterlasse bereits im Kindergartenalter deutliche Spuren und präge die Zukunft der Mädchen und Jungen gravierend. So belegten Studien, dass unter armen Kindern bereits im Alter von sechs Jahren bis zu 40 Prozent Defizite in ihrer Grundversorgung (Ernährung, Kleidung, Wohnen) aufweisen und nur 15 Prozent der Kinder, die nicht als arm gelten. Im Arbeits-, Spiel- und Sprachverhalten haben arme Kinder fast doppelt so viele Auffälligkeiten und mehr Schwierigkeiten, Kontakte zu knüpfen. "Die sich im Kita-Alter herausbildenden Einschränkungen verfestigen sich in der Grundschulzeit massiv", sagt Holz. "Je länger Kinder einer Armutssituation ausgesetzt sind, desto gravierender sind die benachteiligenden Folgen." Aber arm sein bedeute nicht automatisch arm dran sein. Es gebe auch arme Kinder, die im Wohlergehen aufwüchsen. Schutzfaktoren wie Selbstsicherheit, positives Familienklima oder früher Kita-Besuch seien dafür verantwortlich. "Doch das System kann schnell kippen", warnt Holz. Dann beispielsweise, wenn Eltern die Armuts-Situation nicht mehr aushalten würden. Das Wohlergehen von Kindern sei die Verantwortung aller und zuallererst staatliche Verpflichtung. "Ohne Erhöhung der finanziellen Aufwendungen des Staates können die Folgen nicht aufgefangen werden." Elterliche Ressourcen müssten gestärkt und die institutionellen Rahmenbedingungen verbessert werden. Die Referentin betonte, dass Kindertagesstätten auf armutsbedingte Defizite ausgleichend wirken könnten, etwa durch individuelle Förderung der Kinder und Elternarbeit. In Workshops und weiteren Vorträgen vertieften die Erzieherinnen bei dem Seminar die Informationen von Gerda Holz. Franziska Larrá, Leiterin der zuständige Caritas-Abteilung, wertete die zahlreiche Teilnahme als klares Zeichen: "Das Tabuthema Armut gehört mittlerweile zur Erfahrungswelt jeder Erzieherin."

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