BEHINDERTENSPORT: Gesundes Bein, krankes Bein

ENKIRCH. Athen sollte noch mal ein Höhepunkt seiner Karriere werden, doch nun muss der Unterschenkel amputierte Radfahrer Martin Fischer dem Leistungssport verletzungsbedingt Adieu sagen.

Bumms - der kleine Nils liegt auf dem Boden. Herzerweichend schreit der Eineinhalbjährige. Schnell sind Sabine und Martin Fischer zur Stelle, um ihren Sohn zu trösten und die Tränen zu trocknen. Schon allein wegen Nils steckt Martin Fischer den Kopf nicht in den Sand. Grund genug dazu hätte er. Pech, Schicksal - wie immer man es nennen will, es scheint dem Radfahrer vom RSC "Stahlross" Wittlich in mancher Beziehung an den Fersen zu kleben. Am 3. Januar 1990 kam der in der Ausbildung steckende Zahntechniker mit seinem Auto von der Fahrbahn ab und prallte gegen eine Hauswand. Nach drei Monaten im Krankenhaus musste wegen einer Infektion sein rechter Unterschenkel amputiert werden. Durch einen Artikel im Trierischen Volksfreund über den ebenfalls amputierten Gottfried Müller kam der ehemalige Friesenkämpfer (unter anderem ein neunter Platz bei deutschen Jugendmeisterschaften) zum Radsport. Und nun das: "Eine Woche vor Karneval habe ich schon lange Einheiten bis drei Stunden gefahren", berichtet Martin Fischer. An einem Tag fuhr er die so genannte "Ellerer Wand" zwischen Ediger-Eller und Cochem hoch. 15 Prozent Steigung, drei Kilometer nur bergauf. Eine echte Herausforderung für alle Radsportler - und wohl der Tropfen, der bei Martin Fischer das Fass zum Überlaufen brachte: "Am Tag danach hat das linke Knie ein bisschen weh getan, einen Tag darauf hat es beim Gehen arg weh getan." Die Hoffnung, dass der Arzt das an Fastnacht anstehende Mallorca-Trainingslager mit Müller retten könnte, zerschlugen sich schnell: Kniescheiben-Schiefstand im linken, nicht amputierten Bein, auf dem Röntgenbild bereits Anzeichen einer leichten Arthrose, lautete die niederschmetternde Diagnose. "Der Arzt sage, er könne mir zwar Spritzen geben, aber da ich nur ein gesundes Bein habe, solle ich mir das überlegen", sagt der 33-Jährige. Er ließ es. "Ohne Sport werde ich nie sein", sagt Martin Fischer zwar, aber dem Hochleistungssport hat der Paralympics-Teilnehmer von Sydney abgeschrieben. Vielleicht hätte er es trotz des Knies noch versucht nach Athen zu kommen, wenn er nicht zufällig erfahren hätte, dass er kaum mehr auf den Paralympics-Zug aufspringen kann. Bei den Europameisterschaften im vergangenen Jahr war er nur Siebter geworden. Fischer war gestartet, obwohl er monatelang Probleme mit dem Stumpf seines amputierten Beins hatte und nicht trainieren konnte. "Ohne Training ist ein siebter Platz doch gut, oder?", fragt Martin Fischer. Er weiß aber, dass die Umstände, wie ein Resultat zustande kommt, nicht interessieren. Hinzu kam, dass er 2002 nicht an der Weltmeisterschaft teilgenommen hatte. Damals hatte er einen wichtigeren Termin: "Mein Rennen war am 12. August. Da wurde Nils geboren", erklärt der junge Vater stolz.

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