Depression statt Mutterglück

TRIER. Sie haben sich auf das Kind gefreut, und dann ist der Alltag ganz anders. Statt Mutterglück nur Tränen, Unsicherheit und Angst. Postpartale Depression lautet in vielen Fällen die Diagnose. Über Symptome, Ursachen und Wege aus der Krise hat die Ärztin Heike Stocker in der Familienbildungsstätte in Trier gesprochen.

 Manchmal ist alles zu viel: Viele Frauen mit kleinen Kindern sind erschöpft und leiden unter Depressionen. Im Fachjargon heißt die Krankheit "postpartale Depression".Foto: Katja Krämer

Manchmal ist alles zu viel: Viele Frauen mit kleinen Kindern sind erschöpft und leiden unter Depressionen. Im Fachjargon heißt die Krankheit "postpartale Depression".Foto: Katja Krämer

Vergnügte,nie mit Spinat übersäte Wonneproppen strahlen mit ihren gestyltenMüttern im Fernsehen und in Elternzeitschriften um die Wette.Mutterglück pur. "Und meine Nachbarin kriegt auch alles supergeregelt", sagt eine der beiden Frauen, die an diesem Abend zurVeranstaltung der Familienbildungsstätte gekommen sind. "Und diehat zwei Kinder", fügt sie seufzend hinzu. Die Frau fühlt sich als Versagerin, ist erschöpft und weiß ihren Alltag nicht mehr zu meistern. "Weitaus mehr Frauen als gemeinhin angenommen geraten nach der Geburt eines Kindes in eine seelische Krise", erklärt Heike Stocker, Ärztin und Psychotherapeutin. Und die Referentin weiß, dass Erschöpfung und Depression immer noch ein Tabuthema unter Müttern ist.

"Alles dreht sich nur noch um das Kind"

Das postpartale Stimmungstief, auch "Babyblues" genannt, tritt in den ersten zehn Tagen nach der Entbindung auf und verschwindet meist innerhalb weniger Tage wieder. Dehnt sich das Stimmungstief hingegen auf 14 Tage und mehr aus, sprechen die Fachleute von einer postpartalen Depression. "Sie kann jederzeit bis zu zwei Jahren nach der Geburt entstehen", erklärt Stocker. Typische Kennzeichen seien Müdigkeit, Erschöpfung, eine hohe Reizbarkeit, Zwänge bis hin zu feindseligen Gedanken dem Kind gegenüber und Selbstmordgedanken. "Insgesamt kann man von einer Depression sprechen, wenn Sorge und Verzweiflung die Freude über das Kind überwiegen", sagt Heike Stocker.

Die Ursachen für die nach-geburtlichen Reaktionen sind ebenso vielfältig wie jedes Geburtserlebnis und die eigene Geschichte unterschiedlich ist: Unzweifelhaft ist laut Stocker der Einfluss von Hormonen, mit denen Körper und Gehirn zurecht kommen müssen. Aber auch andere Faktoren sind maßgeblich: "Nach der Entbindung wird noch einmal gefragt, ob die Narbe verheilt ist, und das war es dann. Fortan dreht sich alles nur noch um das Kind", erklärt die Referentin.

Weiter bildeten der gesellschaftliche Druck und der Mythos von unerschöpflicher Mutterliebe einen guten Nährboden für Depressionen. "Auch tragen vielfältige Verlusterlebnisse zu Depressionen bei", sagt Heike Stocker. Die Symbiose zwischen Mutter und Kind sei nach der Schwangerschaft beendet. Der Verlust des Berufes, von Unabhängigkeit und oftmals auch von Freundschaften gingen mit der Geburt eines Kindes einher. "Mutter werden heißt auch Abschied nehmen von der eigenen Kindheit. Ebenso werden positive und negative Kindheitserinnerungen wach", sagt die Ärztin. Auch die Beziehung zur eigenen Mutter - "die immer kompliziert ist" - nimmt eine andere Form an.

Ständig im Haus bleiben und den Hosenanzug mit ausgewaschenen Jeans ersetzen - das macht vielen Müttern zu schaffen. Zusätzlich schießen oft spitze Pfeile der Intoleranz aus den Ecken berufstätiger Mütter, die Frauen, die sich für das 24-Stunden-Mutter-Sein entschieden haben, abqualifizieren. Und aus den Reihen der "Nur-Mütter" werden Frauen, die in ihren Beruf zurückkehren, als Rabenmütter abgestempelt. Fest steht, dass sich viele Frauen das Leben mit Kind anders vorgestellt haben und das Baby massiv an jahrelangen Gewohnheiten rüttelt, betont Heike Stocker.

Machen sich Symptome breit, sieht Stocker als ersten Schritt aus der Krise, dass Mütter sich eingestehen, dass sie sich todunglücklich fühlen und Hilfe suchen. Stocker: "In schweren Fällen hilft die Gabe von Psychopharmaka, begleitet von einer Psychotherapie." In leichteren Fällen hilft neben dem Gespräch, dass die Mütter erkennen, dass sie auch Freiräume brauchen. "In der Welt der Lohnarbeit sind Pausen gesetzlich verankert", sagt Stocker. Zeit für die Partnerschaft, Zeit für Hobbys und vor allem auch eine kinderfreie Zeit seien im "Mutter-Job" ebenso notwendig. Die tatsächliche Situation der Mütter sollte dem Mythos der selbstlosen Mutter weichen.

Besonders gefährdet seien Frauen, die das Bedürfnis haben, alles unter Kontrolle zu haben, perfektionistisch sind und zu extremer Besorgnis neigen.

Betroffene Mütter können sich unter Telefon 0651/9978 349 an Dr. Heike Stocker wenden.

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