Der faule Zauber der Flimmer-Welt

TRIER. Laut einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest gehört Fernsehen zu den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der 6- bis 13-Jährigen. Doch Experten warnen vor überhöhtem Fernsehkonsum und raten Eltern, genau hinzuschauen, was sich ihr Nachwuchs anschaut und wie oft er vor dem Fernseher sitzt.

 Kinder vor dem Fernseher – Faszination nicht ohne Gefahren. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Kinder vor dem Fernseher – Faszination nicht ohne Gefahren. TV-Foto: Sybille Schönhofen

Heute ist Nils mit Lukas und Jim Knopf in der Lokomotive Emma durch die Lüfte geflogen und war dabei, als sich Pinocchio aus dem Walfischbauch befreit hat. Und er schwimmt mit Arielle durch die bunte Meereswelt - Fernsehen macht's möglich. Kein Wunder, dass Fernsehen zu den häufigsten Freizeitbeschäftigungen der Kinder gehört. Das hat der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest 2005 in seiner aktuellsten Kim-Studie über das Medienverhalten der 6- bis 13-Jährigen ermittelt. Fast jedes zweite Kind in Deutschland besitzt einen eigenen Fernseher. Gefühle können Schaden nehmen

Im Durchschnitt verbringen schon Dreijährige täglich fast eine Stunde vor dem Fernseher. Dabei sollte es bis zum sechsten Lebensjahr nicht mehr als eine halbe Stunde sein, empfiehlt Dr. Monika Wagener-Wender vom Institut für Selbstentwicklung und integratives Training in Trier. Sie hat an der Universität Trier schwerpunktmäßig an dem Thema Kinder und Medien gearbeitet. Bis zum dritten Geburtstag sollten Kinder ihrer Ansicht nach gar nicht fernsehen. Eine mögliche Folge des Fernsehens sei, dass sich Kinder nicht mehr konzentrieren können. Zu viel Schnittwechsel, Hektik und Abwechslung seien die Ursache dafür. Eltern rät die Medienexpertin, Kinder beim Fernsehen umherlaufen zu lassen und miteinander über das Gesehene zu reden. Jüngere Geschwisterkinder sollten keinesfalls mit den Älteren gemeinsam vor den Apparat gesetzt werden. Nicht nur das Gehirn der Kinder kann überfordert werden, auch die Gefühle nehmen Schaden. Erst mit zehn Monaten kann das Gehirn überhaupt etwas im Fernsehen erkennen, mit einem Jahr können Kinder Emotionen erkennen und fühlen mit. Nur anders als im echten Leben erklärt ihnen in der Fernsehwelt niemand den Grund für Tränen und Traurigkeit. "Das kann dazu führen, dass sie kein Mitgefühl empfinden lernen", erläutert Dr. Wagener-Wender. Auch in anderer Hinsicht kann Fernsehen schaden: "Es nimmt Zeit weg." Zeit, die dann fehle, um sich zu bewegen und zu erleben, welche Wirkungen Handlungen haben können. Sie rät allerdings davon ab, den Fernseher ganz zu verbannen. Da Medien zum Leben dazugehören, sollten Kinder den Umgang mit ihnen lernen. Ein striktes Nein erteilt die Psychologin allerdings im Kinderzimmer. Eine große Warnung spricht Dr. Wagener-Wender vor Gewalt im Fernsehen aus. "Sie macht Angst, stumpft ab, und das Gedächtnis leidet." In Baden-Württemberg gibt es bereits einen eigenen Fernsehsender für Babys. Das 24-Stunden-Programm ist speziell für Kleinkinder zwischen Geburt und drittem Lebensjahr konzipiert. Ob kleine Kinder ihren eigenen Sender brauchen, bezweifelt die Fernsehexpertin Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen. Fernsehen sei nicht das richtige Medium, weil Kinder die Welt begreifen, indem sie anfassen, probieren, in den Mund stecken. Und die zweidimensionale Welt des Fernsehens riecht und schmeckt nicht, man kann die Dinge darin nicht fühlen. Wie Untersuchungen gezeigt haben, nehmen schon Embryos im Bauch die Töne des Fernsehens wahr. Somit gehört das Fernsehen quasi von Anfang an zum Alltag. Und wer glaubt, ein Säugling bekomme von dem Geflimmer im Zimmer nichts mit, der irrt. Geräusche und bedrohliche Musik nehmen Kinder schon sehr früh wahr, und das Flackern des Bildschirms rege viele Kinder auf, warnt Maya Götz.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort