Der Krieg der Frauen an der Heimatfront

Der Erste Weltkrieg hat die Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern in Deutschland verändert. So stieg der Anteil der Industriearbeiterinnen, und die Kinderbetreuung fand nun oft außerhalb der Familie statt.

 Schaffnerinnen und Straßenbahnfahrerinnen: Im Ersten Weltkrieg ergriffen Frauen – wie hier auf dem historischen Foto aus Duisburg zu sehen – damals typische Männerberufe. Foto: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen

Schaffnerinnen und Straßenbahnfahrerinnen: Im Ersten Weltkrieg ergriffen Frauen – wie hier auf dem historischen Foto aus Duisburg zu sehen – damals typische Männerberufe. Foto: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen

Die wenigen maschinengeschriebenen Zeilen an den Duisburger Oberbürgermeister vom 14. August 1914 sind ein Zeugnis der Angst. Angst vor dem Umbruch, vor dem die deutsche Arbeitsgesellschaft bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs stand: "Von einem unserer stellungslosen Mitglieder, das wegen Erlangung einer neuen Stellung im Rathaus vorsprach und sich unter anderem erkundigte, ob die Stadt keine Hilfskräfte für die einberufenen Beamten einstelle, wurde uns die Mitteilung gemacht, dass im Laufe der letzten Woche von der Stadt ungefähr 30 Damen eingestellt worden wären", heißt es in dem Schreiben des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbands Hamburg, einer antisemitischen und frauenfeindlichen Gewerkschaft. Es sei doch eine Tatsache, dass die jungen Mädchen "den Erwerb nicht so nötig haben als die verheirateten Angestellten. Ein junges Mädchen findet viel eher im Haushalt oder irgendwo anders Stellung, die ihm von Natur aus auch viel mehr zusagt".
Aus dem Brief spricht die Sorge der Männer vor einer stärkeren Rolle der Frauen in der Arbeitswelt. Dabei besaßen die zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal das Wahlrecht. Tatsächlich trat die Umwälzung in der deutschen Wirtschaft wenige Monate nach Kriegsausbruch offen zutage: Die Männer wurden für den Fronteinsatz benötigt - 13 Millionen im Verlauf der vier Kriegsjahre. Frauen kamen deshalb stärker zum Zuge: als Schaffnerinnen und Straßenbahnführerinnen, als Schornsteinfegerinnen, Postbotinnen oder in einer der zahlreichen Nähstuben - später vor allem als Lazarett-Schwestern.
Um die Kriegsmaschinerie am Laufen zu halten, schufteten Frauen, die bis dahin vor allem im häuslichen Bereich oder in der Konsumgüterindustrie gearbeitet hatten, zunehmend in der Schwerindustrie. Die Daten der Sozialversicherungen belegen, dass bei Kriegsende in den Industriebetrieben 2,3 Millionen Frauen tätig waren - 46 Prozent mehr als noch 1913.
Die Historikerin Ute Daniel beschreibt die dortigen Arbeitsbedingungen "infolge der faktischen Außerkraftsetzung der Arbeitsschutzbedingungen" als katastrophal - mit schlimmen Folgen, wie das Beispiel der Düsseldorferin Anna Andres zeigt: In den dortigen Phönix-Hüttenwerken war die junge Frau als Kranführerin im Einsatz. Ihre Tochter Otti Lyrmann erinnert sich noch heute, dass die Mutter für ihre Arbeit Anerkennung von den Kollegen bekam: "Sie hat das sehr gut gekonnt." Doch dann kam der 7. Dezember 1917. Andres saß im Führerhaus, als die Sirene zur Frühstückspause schellte. Die Kollegen vergaßen, den Kran wieder in die Ausgangsposition zu fahren. Andres saß fest. Statt zu warten, balancierte die junge Frau kurzentschlossen über einen schmalen Balken - der Hunger war einfach zu groß, ein Versäumen des Frühstücks daher inakzeptabel. Doch was Anna Andres schon viele Male zuvor gemacht hatte, ging diesmal schief. Andres blieb hängen, stolperte und stürzte 16 Meter in die Tiefe. Wie durch ein Wunder und dank der Hilfe eines Düsseldorfer Medizinprofessors überlebte sie den Sturz, verlor jedoch ihre Anstellung.
Es war die Not, die die Frauen dazu trieb, körperlich schwere und gefährliche Beschäftigungen aufzunehmen. Die Industrie zahlte oft gut - auch wenn die Löhne der Frauen unter denen der Männer blieben. Und doch reichte das Geld häufig nicht zum Leben, wie das Schreiben einer Kriegerfrau an die Stadt Duisburg zeigt: "Ich bin seit März Hilfsarbeiterin auf dem Schlachthof mit einem täglichen Verdienst von 4,50 Mark, auf welchen ich mit der Unterstützung angewiesen bin", schrieb sie. "Mein Mann ist im Feld; ich habe zwei Kinder, für die ich sorgen muss. Es ist schwer, bei der jetzigen Lage damit auszukommen und bitte ich deshalb, auch mir die Teuerungszulage zukommen zu lassen." Die Stadt lehnte ab.
Der "Steckrübenwinter" 1916/17 stellte die Frauen vor enorme Herausforderungen. Der durchschnittliche Kalorienverbrauch betrug nur noch 1000 pro Tag. Bis zum Ende des Krieges verhungerten in Deutschland 700 000 Menschen - mehr Tote als durch die Bombardements im Zweiten Weltkrieg. Oft mussten die Frauen nach der Arbeit stundenlang in "Lebensmittelpolonaisen" für Essensrationen anstehen.
Zeit für die Erziehung der Kinder blieb da nicht. Viele Jugendliche mussten für den Familienunterhalt in den Fabriken schuften - rund 600 000 unter 16-Jährige arbeiten bei Kriegsende in der Industrie. Die Übrigen befeuerten die Sorge vor einer Generation der Herumtreiber: "Die vermehrte Heranziehung von Frauen zur Arbeit außer dem Hause muss mit Naturnotwendigkeit zu einer Schädigung des herankommenden Geschlechts führen", heißt es warnend in einem Schreiben an das Kriegsministerium in Berlin.Kinderhorte als Neuerung


Deshalb werden erstmals Kinderhorte gegründet - auch dank der Unterstützung durch die Industriellen. Organisiert werden die Einrichtungen von Kirchen, aber auch Vereinen wie in Duisburger der Kriegsfrauenhilfe. In ihrem Jahresheft 1916/17 heißt es: "Die Kinderkrippen und Kinderhorte des Vaterländischen Frauenvereins erfreuten sich im dritten Kriegsjahr eines solchen Zuspruchs, dass unmöglich war, allen Anmeldungen zu entsprechen." 17 Kinderhorte verteilten sich 1916/17 über das Stadtgebiet. Nicht jeder konnte sich die Betreuung leisten: Zehn Pfennige betrug der Pflegesatz pro Tag; fünf, wenn die Kinder nur nachmittags kamen. Täglich wurden 1300 Kinder betreut.
Während Horte die Zeit des Kriegs überdauerten, wurden viele Frauen nach der Rückkehr der Männer aus den Industrieberufen verdrängt - oft auch auf eigenen Wunsch. Inzwischen gehe das Gros der Historiker davon aus, dass die weiblichen Arbeitskräfte ihren Arbeitseinsatz während des Krieges weniger als emanzipatorische Befreiung, sondern als reine Überlebensmaßnahme begriffen, sagt Andreas Pilger, Leiter des Duisburger Stadtarchivs. Doch die Erfahrung, in einem "Männerberuf" bestanden, als Ernährerin die Familie über Wasser gehalten zu haben und Herrin über das Haushaltseinkommen gewesen zu sein, dürfte das Selbstbewusstsein so mancher Kämpferin an der Heimatfront gestärkt haben.
Mehr zum Ersten Weltkrieg in der Region Trier:
volksfreund.de/wk1Extra

Auch in der Region Trier hat sich die Rolle der Frauen zwischen 1914 und 1918 kriegsbedingt verändert. Frauen halfen - ob nun im Roten Kreuz oder in Frauenvereinen organisiert - in Lazaretten, übernahmen Aufgaben in der Kranken- und Kinderfürsorge. Koordiniert wurde die Arbeit der Frauen im Deutschen Reich von den Gruppen im Nationalen Frauendienst und dessen regionalen Vertretungen, darunter der Katholische Frauenbund. red Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort