Der Streit ums Häutchen

Die Tradition einer Beschneidung reicht bis ins alte Ägypten vor 4500 Jahren zurück. In der heutigen Zeit ist die Notwendigkeit einer solchen Operation ohne medizinischen Grund jedoch umstritten.

Trier/Bonn. "Zum Thema Beschneidung tobt im Internet der reinste Glaubenskrieg", erzählt Dr. Karl Becker. Manchmal macht er sich den Spaß und taucht in die Diskussion im Netz ein. Der niedergelassene Kinderchirurg wird auch in seiner Praxis in Bonn sehr häufig mit der Frage konfrontiert, ob das Stückchen Haut nun weg sollte oder besser bleibt. Seiner Meinung nach ist es reine Ansichtssache, die Vorhaut zu entfernen, wenn keine medizinische Notwendigkeit für die Operation vorliegt wie etwa bei einer Vorhautverengung (Phimose).Aus medizinischer Sicht gibt es Studien, die besagen, dass Peniskrebs bei beschnittenen Männern seltener sei und auch der Gebärmutterhals-Krebs bei Geschlechts-Partnerinnen weniger häufig vorkäme. Andere Studien konnten das wiederum nicht bestätigen, so Dr. Becker. Laut einer australischen Untersuchung haben beschnittene Männer allerdings ein geringeres Risiko, sich mit Aids zu infizieren.Ärzte raten bei Säuglingen und Kleinkindern ab

Die Beschneidung hat eine lange Geschichte: Darstellungen aus dem alten Ägypten erwähnen sie bereits vor 4500 Jahren. Der Ursprung der Beschneidung mag in der Abkehr vom Menschenopfer liegen, das in vorgeschichtlicher Zeit den Göttern dargebracht wurde. Wie die Bibel berichtet, opferte Abraham mittels der Beschneidung nur noch einen Teil seines erstgeborenen Sohnes.Heute noch kann man weltweit davon ausgehen, dass jeder vierte Mann beschnitten ist. Insgesamt ist die Tendenz fallend. Viele Eltern entscheiden sich für eine Beschneidung ihrer Söhne, obwohl keine medizinische Notwendigkeit vorliegt. Bei Juden und Moslems gehört sie zur religiösen Pflicht. In Afrika, Australien und den USA ist sie traditionell weit verbreitet. Dorthin brachte sie das viktorianische England als "Therapie" zur Selbstbefriedigung.Bei uns spielen vielfach ästhetische und hygienische Gründe eine Rolle. Der Kinderchirurg Karl Becker ist dagegen der Ansicht, dass das Säubern mit vorsichtigem Zurückziehen der Vorhaut beim Duschen oder Baden durchaus ausreicht. Dabei betont er, dass Eltern bei der Reinigung sehr zaghaft vorgehen sollten. Anders als früher gebe die Fachwelt heutzutage bei Säuglingen und Kleinkindern eher den Rat: "Lass' ihn in Frieden". Denn schnell seien Einrisse die Folge, die durch Vernarbung zu Verwachsungen führen können.Im frühen Säuglings- und Kindesalter ist die Verklebung der Vorhaut normal. Bis nach Abschluss des ersten Lebensjahres kann die Vorhaut bei etwa der Hälfte der Jungen zurückgeschoben werden. Nach dem dritten Lebensjahr steigt diese Rate bis auf 90 Prozent, bei 16-jährigen Jugendlichen bis auf 99 Prozent an.Eltern von Kleinkindern mit Vorhautverklebung rät der Kinderchirurg, wenn möglich bis ins Schulalter mit der Entscheidung für eine Beschneidung abzuwarten. Einerseits sei die Nachbehandlung dann leichter, und andererseits lösten sich die Verwachsungen bis dahin häufig von selbst. Zudem sei der chirurgische Eingriff für ein älteres Kind leichter zu verarbeiten. Auf die Einstellung des Kindes sei in jedem Fall Rücksicht zu nehmen. Weder die medizinische Behandlung noch die Reinigung des Penises sollte als traumatisches Erlebnis im Gedächtnis haften bleiben. Liegt eine eindeutige Phimose vor und steht eine andere Operation an, bei der das Kind sowieso in Vollnarkose versetzt werde, rät Becker allerdings dazu, die Gelegenheit für die Beschneidung zu nutzen und nicht unbedingt das Schulalter abzuwarten. Wann ist die Beschneidung notwendig? Bei der Phimose kann die Vorhaut nicht oder nur unter Schmerzen zurückgeschoben werden. Das kann häufig Entzündungen zur Folge haben. Sammelt sich unter der Vorhaut Eiter, ist auch das Wasserlassen mit stark brennenden Schmerzen verbunden. Wenn ein normaler Harnfluss stark behindert wird und es immer wieder zu Entzündungen kommt, muss eine Beschneidung vorgenommen werden. Im Fall einer solchen medizinischen Notwendigkeit übernimmt die Krankenkasse die Kosten für die Operation. (sys)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort