Erziehung ist Hebammen-Kunst

TRIER. Kinder lernen und entdecken die Welt spielerisch, mit viel Spaß und Neugier. Kinder sind gegenwärtig, sie erleben die Welt intensiver und gegenwärtiger als die Erwachsenen. Kinder sind das, was sie spielen und zwar in jedem Augenblick.

Der Sinn des kindlichen Lebens ist: entdecken, lernen, entfalten und das alles mit sehr viel Spaß und Freude. Das Spielen ist der zentrale Lebensinhalt des Kindes. Über das Spiel lernt das Kind seine Fantasie zu entwickeln, Rollen zu spielen, Konflikte zu lösen, Berufe zu üben. Kinder sind das, was sie spielen. Das Spiel ist zugleich eine Vorbereitung auf die Welt der Erwachsenen, denn diese spiegelt sich nicht zuletzt auch in den Spielen der Kinder wider. Das Leben von Kindern ist zu jedem Zeitpunkt, zu jeder Sekunde sinnvoll und zwar im wörtlichen Sinne: voller Sinne. Sehen, hören, riechen, schmecken, anfassen und so weiter. Die Welt ist gegenständlich und besteht aus Personen und Gegenständen. Die Erziehung von Kindern sollte in erster Linie so ausgerichtet sein, dass sie ihre eigenen Stärken nutzen und Anleitungen bekommen, die Dinge selbst zu tun. Die Hebammen-Kunst der Erziehung besteht darin, die individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten eines Kindes zu erkennen, sie zu fördern und dem Kind letztlich dabei zu helfen, seine Ideen und Fantasien auf die Welt zu bringen. Kinder werden von den Erwachsenen zuerst "auf die Spur gesetzt". Und irgendwann entscheiden sie selbst. Aus der Genieforschung sind vor allem zwei Erkenntnisse besonders interessant: So genannte Genies (wie Einstein oder Beethoven) hatten in ihrem Leben immer zwei Lehrer. Der erste vermittelte dem Kind "die Liebe zum Objekt", das heißt unendlichen Spaß und Freude an dem, was es tut. Der zweite Lehrer kam zu einem späteren Zeitpunkt und vermittelte dem Kind technische Perfektion. Er achtete darauf, wie ein Kind etwas tut. Später verbindet sich dann die Liebe zum Objekt mit technischer Perfektion und setzt darüber grenzenlose Potenziale und geniale Fähigkeiten frei. Zu jedem Zeitpunkt der kindlichen Entwicklung beschäftigt sich das Kind mit alterstypischen Themen und Problemen. Darüber hinaus suchen sich Kinder so genannte Übergangsobjekte, die ihnen den Schritt von einer Entwicklungsstufe zur nächsten erleichtern, Das können Pullover, Lieblingshosen, Schnüffeltücher oder andere Talismänner sein. Zunächst tun Eltern alles mögliche, damit ihre Kinder Laufen lernen, um den Nachwuchs kurz danach aufzufordern, still zu sitzen. Dann sollen sie sprechen lernen, um kurz danach zu hören, still zu sein und den Mund zu halten. Wie soll ein Kind diese Doppelbotschaften verstehen? Wenn ein Kind etwas nicht versteht, kann es unbewusst Schuldgefühle entwickeln, weil es glaubt die Ursache für das Ereignis zu sein. Kinder brauchen Spiele und Kinder brauchen Märchen. Erziehung bedeutet liebevolles Aushandeln von Grenzen. Denn Grenzen braucht ein Kind auch. Gute Erziehung orientiert sich vor allem an zwei Grundgedanken: Stärken stärken und Hilf´ mir, es selbst zu tun. Der Rest kommt von ganz alleine. Manche Kritiker glauben, dass es keinen Sinn machen würde, Kinder zu erziehen, da sie uns Erwachsenen sowieso nur alles nachmachen würden. Der Autor Christian Lüdke aus Köln ist Erziehungswissenschaftler ( www.christianluedke.de). Er schreibt Gastbeiträge für den Trierischen Volksfreund.

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