Gedenken an Ersten Weltkrieg: Präsidenten Frankreichs und Deutschlands erinnern an 1914

Hartmannsweiler · Mit leidenschaftlichen Plädoyers für Europa haben Bundespräsident Joachim Gauck und Frankreichs Staatschef François Hollande dauerhafte Konsequenzen aus dem Beginn des Ersten Weltkriegs vor genau 100 Jahren angemahnt.

Ein idyllisches Gebiet im Elsass: kleine Häuser mit Geranien, Gaststätten mit Flammkuchen und Jogger, die am Sonntagmorgen durch die Wälder laufen. Das Bild passt so gar nicht zu dem Brief, aus dem Bundespräsident Joachim Gauck zitiert: "Hier mussten die bösen Menschen zwieträchtig einander Tod und Verderben bereiten", schreibt ein Soldat 1915 zu den Kämpfen am Hartmannsweilerkopf in den Südvogesen.

Als "Menschenfresserberg" gilt die 956 Meter hohe Erhebung, wo rund 30 000 deutsche und französische Soldaten im Ersten Weltkrieg in einem erbitterten Stellungskrieg starben (siehe Stichwort). Gauck und der französische Präsident François Hollande erinnerten dort am Sonntag an den hundertsten Jahrestag der Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich.

"Hier, in einer der schönsten Landschaften, die man sich vorstellen kann, hier, im alten Herzland Europas, hier hat Europa verraten, was seine Werte, seine Kultur, seine Zivilisation eigentlich ausmacht", sagte Gauck. Doch er und Hollande taten alles, um zu zeigen, dass die europäischen Werte nach zwei Weltkriegen wieder gelten.

Schon die Tatsache, dass die Präsidenten der einstigen "Erbfeinde" gemeinsam der deutschen Kriegserklärung an Frankreich am 3. August 1914 gedachten, ist ein Ereignis. Hand in Hand standen sie vor dem erhöhten goldenen Quader, wo traditionell der Toten am Hartmannsweilerkopf gedacht wird. Und Hollande erinnerte an einen anderen großen Moment der deutsch-französischen Freundschaft: den Besuch mit Gauck im vergangenen Jahr in Oradour-sur-Glane, jenem "Märtyrerdorf" im Limousin, in dem die SS-Division "Das Reich" mehr als 600 Bewohner im Juni 1944 grausam niedermetzelte.

Das Bild der beiden Präsidenten Hand in Hand in der zerstörten Kirche des Ortes brannte sich vor allem den Franzosen ein. Es war fast so eindrücklich wie die Geste des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU) und des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand 1984 an den Gräbern von Verdun.

An Mitterrand und Kohl mussten sich auch Gauck und Hollande am Sonntag messen lassen. Doch inzwischen sind es nicht mehr die großen Gesten, die beeindrucken, sondern die kleinen Symbole. Beispielsweise das gemeinsame deutsch-französische Museum, zu dem die beiden Präsidenten am Sonntag den Grundstein legten. Historiker aus Frankreich und Deutschland arbeiten an dem Projekt und auch an dem Geschichtslehrpfad, der über gut vier Kilometer an den Schützengräben entlang führt. Eine deutsch-französische Version der Geschichte ist auf den gut 40 Schildern zu lesen. "Die Texte sind sehr nüchtern erzählt wie man das heute so machen muss", sagte der deutsche Historiker und Weltkriegsexperte Gerd Krumeich, der die Beschriftungen mit formulierte, vor der Zeremonie im Gespräch. Noch wichtiger ist für ihn allerdings die Plakette, die in der Krypta künftig auch an die getöteten deutschen Soldaten erinnert. "Das ist ein wunderbarer Schritt im Hinblick auf eine gemeinsame Erinnerung."

Die Krypta, unter der 12 000 Soldaten begraben liegen sollen, war auch das, was den Hamburger Schüler Patrick Pulsfort am Hartmannsweilerkopf am meisten begeisterte. Zusammen mit insgesamt 100 Jugendlichen aus Deutschland und Frankreich hatte er sich in den vergangenen Tagen für das deutsch-französische Jugendwerk mit dem Ersten Weltkrieg befasst. "Das Thema ist unglaublich weit weg", bemerkte der 18-Jährige. Deshalb war die Botschaft, die die Jugendlichen den beiden Präsidenten überreichten, auch eine, die nach vorne gerichtet ist: "Angesichts aller Kriege, die die Welt heimsuchen, kämpft gegen den Hass", hieß ihr Appell. Dass dieser Kampf heute immer noch geführt werden muss, zeigen die Konflikte im Gaza-Streifen und in der Ukraine, wo Deutschland und Frankreich als frühere Kriegsgegner sich inzwischen gemeinsam um Frieden bemühen.Extra

Der 956 Meter hohe Vogesen-Gipfel Hartmannsweiler Kopf nahe Mulhouse wurde wegen seiner strategischen Lage über der Rheinebene zwischen 1915 und 1918 zum erbittert umkämpften Schlachtfeld. Geschätzte 30 000 Franzosen und Deutsche starben. Allein am 21. Dezember 1915 feuerte die französische Artillerie 250 000 Granaten ab. Der Gipfel wurde durch Bomben und Giftgas zur Mondlandschaft. Ein Großteil der Bunker, Schützengräben und Befestigungslager rund um den "Menschenfresserberg" ist bis heute erhalten und kann besichtigt werden.

In den 1920er Jahren gründete Frankreich dort eine nationale Gedenkstätte. Im Gebeinhaus der Krypta sind sterbliche Überreste Tausender französischer und deutscher Soldaten beigesetzt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort