Gewinner und Verlierer

Christian feiert seinen 50. Geburtstag, alle Bekannten werden eingeladen, eine Band spielt, einige nette Sketche werden vorgeführt, und der Geburtstag ist für alle eine super Fete. Trotz der wohlgemeinten Lobreden entwickelt sich bei Christian im Nachhinein eine seltsame, ihm unbekannte Stimmung.

Eigentlich schon die ganze letzte Zeit gingen ihm Gedanken durch den Kopf, die Unbehagen auslösten. Jetzt die Mitte des Lebens sichtlich zu überschreiten; plötzlich dieses Grübeln: Sollte das alles gewesen sein? Er hatte doch eigentlich etwas ganz anderes werden wollen, und mit dem jetzigen Gehalt ist es auch nicht so wild. Irgendwie wurde Christian die Endlichkeit des Lebens immer deutlicher, auch das, was er versäumt hatte, gemachte Fehler, Verfehlungen, wurden ihm bewusster als je zuvor. Irgendwie verfärbte sich der zurück gelassene Lebensabschnitt. Vielleicht hätte er mehr aus seinem Leben machen können, aber jetzt? Neulich hatte er in seinem Unbehagen zu einem psychologischen Buch gegriffen, in dem Begriffe wie Gewinner oder Verlierer fielen. Das traf bei ihm ins Schwarze, genau das fühlte er in der letzten Zeit - versagt und verloren zu haben. Den Stimmungswechsel mit entsprechend destruktiven Gedanken erleben Menschen häufig in den Wechseljahren, Männer wie Frauen. Das kann eine bedrückende Lebensphase sein, aber ebenso Chancen der Selbstbesinnung beinhalten und Richtungsänderungen ermöglichen. Fatal wird die vorübergehende Lebenszensur erst, wenn sie oberflächlich mit Gewinner- und Verlierer-Attributen versehen wird und pessimistische Sichtweisen verstärkt werden. Mich stören, je nach Nutzung und Interpretation dieser Begriffe, die unterschiedlichen psychologischen Modelle. Sie verführen dazu, sich unwirklich zu erleben und sich an vorgegebenen Klischees selbst zu demontieren. Ich denke, es ist konstruktiver, sich über Gelungenes des bereits Gelebten zu freuen.

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