"Ich biete dem Morden die Stirn"

Sarrebourg/Saarburg · Rund um Saarburgs lothringischer Partnerstadt Sarrebourg tobt vor 100 Jahren eine der ersten und blutigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs. Das belegen viele Zeugnisse in der Region. Trotzdem gibt es zwischen beiden Städten enge Verknüpfungen.

Sarrebourg/Saarburg. Die Christusstatue steht an der Kreisstraße zwischen Sarrebourg und Buhl. Aus Richtung der Nationalstraße 4, die wenige Meter entfernt an ihr vorbeiführt, ist Autolärm zu hören. In einiger Entfernung wird Rasen gemäht und gelegentlich ist eine Kreissäge zu hören. Vor 100 Jahren muss das anders gewesen sein.TV-Serie: Weißt du noch?


"Rings reißt elektrisches Krachen und wimmernd bricht alles entzwei. Wie schlechte Lumpen qualmen die Dörfer am Horizont. Viel kupferne feindliche Vögelein surren um Herz und Hirn." So beschreibt der expressionistische Schriftsteller Alfred Lichtenstein in seinem Gedicht Die Schlacht bei Saarburg (Extra) die Gefechte in Lothringen. Der 25-Jährige ist Soldat im zweiten bayerischen Infanterieregiment, das dem Kronprinzen Rupprecht von Bayern unterstellt ist, und ist schon nach wenigen Tagen auf dem Schlachtfeld verzweifelt: "Ich liege gottverlassen in der knatternden Schützenfront. Ich stemme mich steil in das Graue und biete dem Morden die Stirn."
Von der deutschen Kriegspropaganda wird die Rückeroberung der zum Reichsland Elsass-Lothringen gehörende Stadt Sarrebourg am 20. August 1914 als göttliches Wunder glorifiziert. Dafür herhalten muss die Christusstatue von Buhl, die, aus Richtung Sarrebourg kommend, an der Route Départementale 96 steht.
Bei den Kämpfen um die Stadt wurde das Kreuz, an dem sie befestigt war, von einer französischen Granate zerfetzt. Die Statue blieb unversehrt. Franz Winter aus Strasbourg reimte: "Treu stürmten die Deutschen Hand in Hand dem trotzigen Feind entgegen mit Gott für Kaiser und Vaterland."
Weiter: "Mit hocherhobenen, bittenden Händen und schmerzlichem Antlitz der Heiland steht, als ob er nun nochmals mit Blut und Leben für alle zum himmlischen Vater fleht. O hilf, du Herrscher der himmlischen Scharen, o lösche des schrecklichen Krieges Brand."Schlimme Propaganda


Die Statue ziert zahlreiche Postkarten, die von deutschen Soldaten während des Ersten Weltkriegs in die Heimat geschickt werden. Stets ist auf ihnen von dem göttlichen Wunder die Rede, dass die Christusfigur beim französischen Angriff im August 1914 nicht zerstört wurde. Begleitet wird die Kriegspropaganda von der deutschsprachigen Presse. So schreibt die Kölnische Zeitung im August 1914: "Ein Beispiel für den Vandalismus, mit dem die Franzosen, da wo sie auftreten, hausen, aber auch für die Niederträchtigkeit der Gesinnung der deutschlothringischen Französlinge, die sich in den Grenzorten umhertreiben, ist das Hausen der Franzosen in Saarburg in Lothringen."
Keine Erwähnung findet, dass die Deutschen in der Region bei ihrem Einmarsch um den 20. August 1914 herum ganze Dörfer, beispielsweise Badonviller und Cirey-sur-Vezouze, verwüstet haben.Marcel Lutz, Historiker am Centre National de Recherches Scientifiques, beschreibt die Kämpfe in Lothringen zu Beginn des Ersten Weltkriegs so: "Es war eine Schlacht ohne Gnade, ohne Rücksicht, blutig, die unter der Bevölkerung Angst und Schrecken verbreitete. Kurz: Es war schrecklich!"
Alain Marty, Bürgermeister der Stadt Sarrebourg, fasst es so zusammen: "Es ist wichtig, derer zu gedenken, die ihr Leben für die Freiheit des Vaterlands geopfert haben. Sie sind Teil unserer Geschichte und unserer Hoffnung für eine bessere Welt."
Für ihn ist die Partnerschaft zwischen beiden Städten ein unverzichtbarer Bestandteil für den europäischen Einigungsprozess.
Jürgen Dixius, Bürgermeister der Stadt Saarburg, betont, dass es zwischen den Menschen aus beiden Städten einen vielfältigen Austausch, sei es zwischen den Vereinen oder auf institutioneller Ebene, gebe. "Stolz bin ich auf die regelmäßigen Treffen der Senioren. Hier begegnen sich heute Menschen als Freunde, die den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt haben. Das ist gelebte Völkerverständigung."
volksfreund.de/wk1Extra

Der expressionistische Schriftsteller Alfred Lichtenstein schrieb im August 1914 das Gedicht Die Schlacht bei Saarburg: "Die Erde verschimmelt im Nebel. Der Abend drückt wie Blei. Rings reißt elektrisches Krachen und wimmernd bricht alles entzwei. Wie schlechte Lumpen qualmen die Dörfer am Horizont. Ich liege gottverlassen in der knatternden Schützenfront. Viel kupferne feindliche Vögelein surren um Herz und Hirn. Ich stemme mich steil in das Graue und biete dem Morden die Stirn." Lichtenstein fällt am 25. September 1914 bei Vermandovilliers an der Somme. itzExtra

 Marc Chagall hat das Glasfenster in der Chapelle des Cordeliers in Sarrebourg entworfen. Es steht für die Hoffnung auf Frieden in der Welt. Die Christusstatue, deren Kreuz im Ersten Weltkrieg durch eine Granate zerstört wurde, wurde von den Deutschen zu Propagandazwecken missbraucht. Fotos: Archiv Alexander Schumitz,(2); Alexander Schumitz (2)

Marc Chagall hat das Glasfenster in der Chapelle des Cordeliers in Sarrebourg entworfen. Es steht für die Hoffnung auf Frieden in der Welt. Die Christusstatue, deren Kreuz im Ersten Weltkrieg durch eine Granate zerstört wurde, wurde von den Deutschen zu Propagandazwecken missbraucht. Fotos: Archiv Alexander Schumitz,(2); Alexander Schumitz (2)

Im Musée du Pays de Sarrebourg ist noch bis zum 17. November 2014 die Ausstellung "Entre Allemagne et France: Sarrebourg 1914" (auf Deutsch: Zwischen Deutschland und Frankreich: Saarburg 1914) zu sehen. Der Besuch des Museums kostet sechs Euro. Darin enthalten ist auch der Besuch der Chapelle des Cordeliers mit dem größten, von dem Künstler Marc Chagall entworfenen Glasfenster itz

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