KOLUMNE

Meine Tochter war im Kino. "Wie war´s denn?", frage ich. "Das Kino war voll leer!" Während ich noch grübele, ob nun viele oder wenige Menschen dort waren, wird die erschöpfende Auskunft um "Der Film war voll krass" erweitert.

"Was heißt denn krass?", frage ich. "Na eben voll cool!" Dazu streift mich der Mama-auf-welchem-Stern-lebst-du-eigentlich-Blick. "Aha", sage ich und beschließe, nicht nach weiteren erhellenden Auskünften zu fragen. Doch da wird mir in einem Anflug von Erzählrausch mitgeteilt: "Und der Hauptdarsteller war voll süß!" Irgendwas muss der Film also mit "Fülle" zu tun gehabt haben, mutmaße ich. Gleichzeitig durchforste ich mein Gehirn nach rudimentären Lateinkenntnissen. Denn die sollen ja der Schlüssel zu anderen Fremdsprachen sein. Doch ich wähne mich mit meinem Latein am Ende, als ich, jetzt aus Richtung Computer, vernehme: "Das ist ja voll mega, da added mich doch SeeBee, voll nett!" Aber halt, "adden" kann ich herleiten, es muss die gleich Wurzel haben wie "addieren"! Und "Bee" heißt doch "Biene" oder? "Ach, hast du jetzt Verbindung mit einer neuen Freundin, die Sabine heißt?", versuche ich, Durchblick zu signalisieren. Der Blick von vorhin streift mich ein zweites Mal. "Verbindung ist voll richtig, aber neu voll falsch, denn SeeBee ist Sebastian, und der ist schon voll lange in unserer Clique." Allmählich dämmert mir, dass ich es hier nicht mit einer Fremdsprache, sondern mit einer "vollen" Variante des Deutschen mit dem besonderen dialektischen Kniff der Sparsamkeit zu tun habe. Wie geschaffen für eine Aufforderung zum Essen: "Added ihr voll schnell den Tisch? Es gibt voll krasse, mega-coole äh hotte Suppi!" Meine Tochter eilt herbei - offensichtlich ist die Message voll angekommen - aber ihr legendärer Blick streift mich zum dritten Mal: "Mum, voll daneben!" Anke Emmerling In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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