KOLUMNE

Medizin schmeckt bitter, hat man früher gesagt. Und so war es auch. Was musste ich als Kind für widerliches Zeug schlucken. Mit Murren und Maulen habe ich die Säfte, Tropfen und Essenzen herunter gewürgt.

Heute dagegen mundet Medizin geradezu: nach Orangen, Vanille oder Honig. Ja, die Pharmaindustrie hat seit damals eine Menge dazugelernt. Deshalb kann ich es beim besten Willen nicht verstehen, warum mein kleiner Sohn wild um sich schlägt, sobald ich mit dem Hustensaft in seine Nähe komme. "Hmm, schmeckt das lecker”, locke ich ihn. Doch egal wie der Saft schmeckt, sein Mund bleibt fest verschlossen. Und das sonst so süße Kind verwandelt sich in ein Kick-Beiß-Schlag-Monster. Sämtliche Tricks haben wir schon angewandt. Den Hustensaft mehrfach gewechselt, ihn selbst getrunken, ihn per Überraschungsangriff in seinen Mund geschüttet, dabei verschüttet und letztlich zu den Omas mitgenommen, weil die ja immer noch einen Kniff kennen. Das war eine kurze Weile auch tatsächlich von Erfolg gekrönt. "Hmm, noch, noch”, schleckte der kleine Satansbraten den Löffel ab, den ihm seine Oma hinhielt. Doch urplötzlich schien er sich an den Geschmack erinnert oder die perfide Taktik durchschaut zu haben. Unser Kampf geht also weiter. Auch alle Überredungskünste fruchten nichts. Etwaige Handelsversuche scheitern im Ansatz. Und so versuchen mein Mann und ich, uns irgendwie vor dem allabendlichen Hustensaft-Ritual zu drücken. Etwa so: "Na ja, der Husten ist ja schon besser geworden.” "Heute Abend machen wir mal eine Ausnahme.” - "Aber nur heute brauchst du keinen Saft zu nehmen.” Ob er uns durchschaut? Neulich abends wollte mein Mann ganz besonders energisch sein. "Nicholas, du trinkst jetzt deinen Hustensaft!” Dabei balancierte er den Löffel vor dem kleinen Gesicht. Doch sein Sohn ist konsequent. Was er nicht will, will er nicht. Auf und davon lief der Wicht im Hasenschlafanzug - immer um den Tisch herum, sein Papa hinterher. "Wenn du jetzt nicht deinen Hustensaft trinkst, gehst du sofort ins Bett”, donnerte die ultimative Drohung aus seinem Mund. Und eh er sich's versah, trippelten die kleine Füße gen Schlafzimmer. Hinein ins Bett. Verona Kerl In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren Autoren den Familien-Alltag. Das gleichnamige Buch mit 60 Kolumnen ist für 9,90 Euro in den TV-Pressecentern erhältlich.

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