KOLUMNE

Als ich unlängst im Trierer Stadttheater mit Hänsel und Gretel musikalisch zitterte und litt, malte ich mir aus, was für ein Gefühl es doch sein müsse, so allein in finsterer Nacht mitten im tiefen Wald. Ihr alle kennt die Fabel, des Schicksals dunklen Lauf... Doch langsam. Ich will der Reihe nach berichten: Es war (jedenfalls zu Beginn) ein wunderbarer Sonntag, der perfekte Tag für eine Familien-Wanderung durch den Winterwald. Ich packte unsere Rucksäcke mit süßer Verpflegung und heißem Tee. Unser Großer rüstete sich mit Fernglas, Kompass (!) und Tierspuren-Buch. Los ging's irgendwo in die Wälder auf der Hohen Wurzel, da, wo's so schöne Rundwege gibt. Meine Lieben waren alle richtig gut gelaunt, die Kinder klebten mit ihren Augen am Waldboden, um Tierspuren zu entdecken, und wir genossen die Stille der Wälder und das sanfte Rauschen der Baumwipfel. Wir wanderten und wanderten, immer weiter, der Nase entlang. Eigentlich, so dachten wir bis dahin, kennen wir uns hier oben aus, sind ja alles Rundwege, die früher oder später zusammentreffen. Früher oder später. Wir gingen weiter und weiter und weiter. Und lauschten hinaus. Das Rauschen der Baumwipfel wiegte uns in Sicherheit, weil wir dachten, die Straße zu hören. Wir gingen weiter und weiter und weiter. Doch seltsam, je weiter wir auch gingen, wir kreuzten keinen der uns eigentlich bekannten Wege. So langsam beschlich mich ein ungutes Gefühl. Angst. Wir alle wurden immer stiller, die Kinder jammerten nicht mehr über wehe Beine oder eiskalte Finger, mein Bester, bis dato von mir viel gepriesener Indianer-Scout durch unwegsames Gelände, zuckte irgendwann die Schultern und bekannte: Ich weiß nicht, wo wir sind. Bumm! Mein Herz schlug mir fast zum Hals heraus. Ja, und jetzt? Gleich würde es dunkel werden. Und wir im Wald. Allein. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Dann das Unglaubliche: Wir standen urplötzlich mitten auf der Kreuzung eines uns bekannten Weges, der nach ungefähr zwei Kilometern oben an der Hunsrückhöhenstraße endet, endlos weit entfernt zwar von unserem Parkplatz, aber eben an eine belebte Straße führt. Die Dämmerung legte sich langsam auf den dichten Tannenwald, die hellen Steine auf dem Weg gaben uns Orientierung. Wie bei Hänsel und Gretel. Und dann plötzlich ein erleichtertes Grinsen auf dem Gesicht meines großen Waldläufers. Er hatte sein Handy im Rucksack gefunden. Ein S.O.S.- Anruf bei unseren guten Nachbarn und Freunden. Sie sind zuhause und ... sie kommen uns holen, berichtet unser Ober-Häuptling. Puh. Schwein gehabt! Und als wir, ein Häuflein Wander-Elend, im Dunklen und im Regen an der Straße stehen, mit Kompass (!) und Fernglas (!) behangen, und in die Gesichter unserer Freunde sehen, da beginnen wir plötzlich alle Mann zu lachen. Und wenn Sie, lieber Leser, beim nächsten Spaziergang durch den Wald Kieselsteine auf dem Weg entdecken, dann wissen Sie, wir waren auch schon da. Denn das mit dem Kompass-Lesen müssen wir erst noch üben... Sandra Blass-Naisar In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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