KOLUMNE

Dass ich Lust auf Urlaub habe, hat mein Sohn mit sicherem Instinkt gespürt: "Kaufen wir jetzt Farbe?" "Wie, Farbe?" "Du willst doch in den Ferien mal wegfahren und was ganz anderes machen als sonst. Da können wir doch zusammen mein Zimmer streichen!

" Fünfzig Autokilometer und zwei Stunden später stehen wir leider nicht an irgendeinem Strand, sondern tatsächlich mit zwei Eimern Farbe im Hausflur. Mein Sohn frohlockt: "Jetzt kann der Urlaubs-Spaß ja beginnen!" "Fragt sich nur für wen", denke ich mir, als ich versuche, in seinem Zimmer ein freies Plätzchen für Füße und Werkzeug zu finden. "Stell dir einfach vor, du steigst über Felsen und Muscheln", sagt der Sohn. Woher er die Idee hat: Der Ton, den ich mische, heißt "Capriblau"! Nicht ganz so klar wie diese Farbe ist die Frage, wie sie an die Wand kommen soll. Denn dort stehen noch vollgepackte Regale. Kein Problem - sie werden einfach verschoben. Dass sich dabei das ein oder andere Sammlerstück zu den "Muschelbergen" auf dem Fußboden gesellt, oder gar auf "Felsen" zerschellt, sorgt nur für zusätzlichen Reiz und Aktivität - denn mein Sohn weiß, dass Bequemlichkeit nicht meine Sache ist. Deshalb gibt es auch ein ergänzendes Animationsprogramm: Beschallung mit AC/DC oder Sommerhits aus dem Radio. "Du musst den Pinsel im Takt schwingen", brüllt es dazu, "guck mal so!" Schwungvoll klatscht die Rolle an die Wand und eine Gischt aus meeresblauen Tropfen tränkt mein Haupt. Was soll's, so passe ich farblich wenigstens zu den Fußabdrücken am "Strand". Während ich unter dem Heizkörper und hinter dem Rolladengurt meine Vorstellung vom Capri-Urlaub nähre, höre ich: "Dein Pinsel für die Decke trocknet aus und ich hätte gern alles fertig, wenn nachher das Fernsehprogramm beginnt." Dazu wird auf Techno-Rhythmen umgeschaltet, und das Wort Urlaub wird für mich plötzlich mit "h" geschrieben. Dafür komme ich aber auch in den Genuss eines einzigartigen Aerobic-Programms: Rauf auf die Leiter, Kopf in den Nacken, Profilholz weiß streichen, runter von der Leiter, Leiter verschieben, Pinsel tränken, rauf auf die Leiter. Das Weiß verschwimmt allmählich zu Sommerwölkchen, das Blau zum Meer, das tatsächlich anfängt zu rauschen - oder wird da gerade wieder ein neuer Radiosender gesucht? Gerade glaube ich wirklich, ich sei auf Capri, da platzt die Tochter herein: "Wenn ihr hier fertig seid, fährst du aber mit mir los! Ich will Sandfarbe für meine Wände!" Prima, in der Sahara wollte ich auch schon immer mal Urlaub machen...Anke Emmerling In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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