KOLUMNE

Es gibt Momente im Leben, die vergisst man nicht: Der erste Kuss auf dem Rücksitz, die letzte Fünf in Deutsch, der Aufstieg der Eintracht. Auch der erste Brei zum Mittagessen gehört dazu - zumindest für die Eltern unserer Tochter.

Dabei hatten wir uns auf alle nur erdenklichen Eventualitäten gewissenhaft vorbereitet: Karotten, frisch vom biologisch anbauenden Bauern, dampften - schonend gegart und handzerdrückt - im Lustige-Ente-Teller. Quasi als Sicherheitsnetz blubberte im Wasserbad auf dem Herd der Gemüsebrei im Gläschen. Selbstredend mit europäischem Bio-Siegel versehen und bis an die Zähne mit Vitaminen bestückt. Schon wanderte der erste Löffel, von Elternhand geführt, zum Mund. Zwei blaue, vier Monate alte Kinderaugen sahen der sich nähernden Portion erstaunt entgegen, dann kritisch abwechselnd zu Mama und Papa. Die Lippen blieben verschlossen. Kinder brauchen eine positive Stimmung und viel Aufmunterung, da war sich die von uns regelmäßig konsultierte pädagogische Fachliteratur einig. "Mmh, das ist lecker! Und wie gut das duftet!" Sirenengleich bezirzten wir unsere Tochter. Doch die blieb standhaft. Also Tonartwechsel: "Du isst jetzt! Etwas anderes gibt es nicht!" Die Folge: Entrüstetes Weinen, herzzerreißend. Erneuter Tonartwechsel: "Also gut, wenn Du es nicht magst, bekommst Du Dein Fläschchen. Aber probier doch ‘mal." Ein triumphales Lächeln, gefolgt von sich einen Spalt öffnenden Lippen. Also geschwind hinein mit dem ersten Löffel. Nach einem erstaunten Augenblick schluckte unsere Tochter die klebrige Masse mit einem Gurren hinunter. Wieder öffnete sich der Mund - diesmal schon etwas weiter. Im Gefühl des sicheren Sieges versuchten wir es nun mit einer größeren Portion. Wieder dauerte es einen Moment, ehe sich eine Fontäne über Lätzchen, Strampelanzug und Tischdecke. Alles färbte sich rot-orange - Mamas und Papas Gesicht inklusive. Einige lange Minuten und zerriebene Nerven später war der Inhalt des Lustige-Ente-Tellers gerecht zwischen Babys Bauch und unserer Kücheneinrichtung aufgeteilt. Zufrieden (unsere Tochter) und erschöpft (ihre Eltern) lehnte sich die ganze Familie zurück. Diese Entspannung ist mittlerweile neuerlicher Anspannung gewichen: Nach Auskunft unserer Fachliteratur wird unsere Tochter bald den ersten Zahn bekommen. Das wird wohl auch wieder einer dieser Momente werden... Peter Hacker In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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