KOLUMNE

Gibt esetwas Schöneres als gelebte Demokratie? Noch dazu in derkleinsten gesellschaftlichen Keimzelle, in der Familie nämlich? So zum Beispiel, wenn es um die Familien-Urlaubsplanung geht. Wo fahren wir im Sommer hin, lautet die samstägliche Frage am Esstisch. Und die Antwort liegt irgendwo verborgen in dem Haufen Prospekte und Broschüren, den wir fünf eifrig durchwühlen.

"Wie wäre es, wenn wir mit dem Fahrrad quer durch Holland fahren?" Stolz blicke ich zu meinem Mann, dem dieser konstruktive Beitrag mutig über die Lippen gekommen ist. Endlich hat ein Familienmitglied die Nöte der siechenden Natur entdeckt. Und ein bisschen Bewegung dürfte ihm auch nicht schaden.

Doch schon bringt ein dissonanter Dreiklang mein mütterliche Trommelfell zum Flattern. "Gegenwind!", "Da müssen wir ja laufend Fisch essen!", "Voll uncool, keine Abfahrten!" - Na ja, ganz unrecht haben die drei nicht, ihre Argumente sind sogar hieb- und stichfest, wenn ich es mir recht überlege.

"Lieber in die Domrep", lautet das Credo der Großen, "da werde ich wenigstens braun." Domrep? Ein neues Bräunungsstudio mit familienfreundlichen Tarifen? "Dominikanische Republik", hilft meine Tochter mitleidig nach. Da waren schließlich schon - ehrlich - fast alle aus ihrer Klasse.

"Oder Australien", schlägt die Jüngere mit glänzenden Augen vor. Endlich mal Kängurus live sehen und den Pazifik... "Außerdem waren die Großeltern von Lisa den ganzen Winter auch dort", hakt sie nach. Auch der Opa von Alex sei erst kürzlich mit einem Geländewagen durch Australien gebrettert.

Die Großeltern von heute sind auch nicht mehr das, was sie früher waren, knurrt es in mir. Klar, dass ich jetzt einen pädagogisch wertvollen Beitrag loswerden muss. "Was haltet Ihr von Ferien in Meck-Pom?", flöte ich flott in die Runde. Verständnisloses Stirnrunzeln, dann zaghafte Erkenntnis. "McPom, das kann nichts sein. Hört sich so ungesund an." Ach so. Rascheln im Blätterwald. Nach intensiven Beratungen jetten wir gedanklich von einem Urlaub auf dem Bauernhof ("da stinkt's") zum Kanufahren an die Ardèche ("zu anstrengend"). Die heimatnahe Meditation im Bergwerk ("da schlaf ich ein") wird ebenso verworfen wie das Insel-Hopping durch die Nordsee ("mir wird beim Schiff fahren schlecht"). "Also: meine Freunde waren auf Ischia total begeistert", wirft mein Mann freudig ein. Lange Nächte, Tanz und eine Bardame mit einem Bikiniteil, das in minimalem Verhältnis zu seinem überdimensionierten Inhalt stand. Ein überzeugender Tritt unter dem Tisch bringen ihn fort von den (nackten) Tatsachen.

Und dann, schon nach vier Stunden, werden wirr fündig: Dänemark, das Land der Wellen und des weißen Sandes, Smörrebröd von morgens bis abends und Lego für den Kleinen.

"Eigentlich ein bisschen teuer", murmele ich gedankenverloren vor mich hin. "Was man von dem Urlaubsgeld alles anschaffen könnte. Zum Beispiel einen neuen Super-Flach-Fernseher mit Kino-Bildschirmgröße und Fünffach-Live-Zuschaltungen." Ein Kopfrucken geht durch die Familie, die gewohnt ist, allabendlich in eine DinA-4 große Röhre zu schauen. Wenn Denken hörbar wäre, müsste gerade ein Düsenjet durchs Esszimmer fliegen.

Und da kommt es schon. Ein unisono "Au ja, das machen wir!" schallt über die zerknüllten Prospektberge. Stumm blicken mein Mann und ich uns tief in die Augen. Drei zu zwei - Demokratie ist etwas Schönes!

Gabriela Böhm

In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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