KOLUMNE

Was, schon wieder Weihnachten? Habe ich denn jetzt auch alles? Wo in aller Welt sind die Ersatzbirnen für die Lichterkette? Es ist der 24. Dezember und das hektische Treiben des wie immer zu kurzen Advent nähert sich dem ultimativen Höhepunkt.

Mittags wollen wir mit unseren Vorbereitungen fertig sein, damit wir auf Frieden und Harmonie umschalten können. Dazu brauchen wir aber erst mal den Weihnachtsbaum. Der steht draußen und glitzert - eine dicke Eisschicht bedeckt seine Nadeln, und im Eimer festgefroren ist er auch. Wir Eltern üben uns im Gewichtheben, die Kinder lachen sich kaputt. "Helft doch mal mit!", blaffe ich gereizt. Irgendwie landen Eis und Baum schließlich im Flur. Keine Frage, da muss der Fön ran. Den aber liebt nur unser Stromversorger, die Tanne nicht, wie sie uns mit rieselnden Nadeln glaubhaft versichert. Unser Zeitplan kommt beträchtlich ins Wanken, deshalb fülle ich die Auftauphase mit der ohnehin fälligen Mahlzeit. "Wie, es gibt nur was Kaltes? Die Wurst mag ich auch nicht", beschwert sich der Sohn. "Bei uns wird gegessen, was auf den Tisch kommt", kontert der Vater. Ich schneide neues Brot an. Nussbrot, das ich extra für Weihnachten gekauft habe. "Was ist das denn?", fragt mein Mann entsetzt und schiebt seinen Teller zur Seite. "Es gibt doch keinerlei Veranlassung Nüsse in ein Brot zu backen!" "Bei uns wird gegessen, was auf den Tisch kommt", lautet mein Beitrag zum Weihnachtsfrieden. Der hat jedoch erst eine reelle Chance, als ich mich bereit erkläre, noch eben in die einige Kilometer entfernte Bäckerei zu hasten, um das letzte gewöhnliche Roggenbrot zu erwerben. Auf dem Weg überlege ich, ob die Idee, heute Abend Wildlachs mit Kräutern zu servieren, tatsächlich so gut war. Zehn Kilometer weiter gibt es noch einen Laden, der länger offen und zudem Backofen-Pommes und Fertigpizza im Angebot hat. Sicher ist sicher. Meine Lieben zu Hause haben ihren Hunger indes an sämtlichen Süßigkeitsvorräten gestillt und sind schon beim alljährlichen Streit, wer Strohsterne und wer Lichterketten aufhängen darf. Mein Mann kämpft inzwischen mit einer zerfledderten Staubsaugertüte, dem Opfer spitzer Tannennadeln. Ersatz ist nicht im Haus, ich gleich auch nicht mehr, denn Staubsaugertüten gibt es nur im 20 Kilometer entfernten Discounter. Es ist bereits später Nachmittag, als wir reichlich abgehetzt wieder im Auto unterwegs sind. Diesmal aber nicht Richtung Konsumtempel, sondern Richtung Kirche. Wir treten ein, da flüstert mir mein Mann zu: "Weißt Du eigentlich, dass unser Spülmittel alle ist?" Aber da läuten die Glocken und setzen jedem Gedanken an lächerliche Alltagssorgen ein feierliches Ende. Unsere Augen fangen an zu glänzen, so wie die flackernden Kerzen ringsum. Dann wird es still, und wir fühlen es nun doch: Es ist Weihnachten - endlich!Anke Emmerling In unserer Kolumne "Familienbande" glossieren wechselnde Autoren den familiären Alltag.

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